Der Zufall wollte es, dass mir jüngst wieder eine alte Bierfront-Ausgabe aus dem Schrank entgegenfiel, in der das 20-jährige Bestehen des Heftes gefeiert wurde – damals wunderte man sich schon, dass man so lange durchgehalten und überlebt hatte, und dieses Jahr wurde die Zahl sogar noch verdoppelt!

In den 80ern, der goldenen Zeit der Punk-Fanzines (Internet? Wo?), fiel das Aachener Heft noch mal besonders aus dem Rahmen: Das lag zum einen am irgendwie unhandlichen DIN-A3-Format, aber auch am Inhalt: Unter dem Motto „Alles, was Trinkern Spaß macht“ wurde schon früh bewusst über den Tellerrand geblickt und Scheuklappen in Sachen Stil oder Genre wurden gar nicht erst aufgesetzt. Im Gegenteil, alles, was anders war, war spannend und so wurden hier schon Künstler gefeatured, die erst Jahre später Kultstatus und Berühmtheit erlangen sollten. Um nur mal ein paar Namen zu nennen: The Cramps, Nick Cave, Sonic Youth, Chrome, Butthole Surfers, Wire, Gun Club, Divine, Johnny Thunders, Stiv Bators, Pere Ubu, Lemmy, Foetus … Einige davon sind schon tot, aber die Bierfront hat sie irgendwie überlebt.

Im Heft war aber nicht nur Musik drin, auch andere subkulturelle Bereiche wie Performancekunst, Literatur und Film wurden abgedeckt, und selbstverständlich auch Alkohol. Der geneigte Säufer bekam in jeder Ausgabe neben einer Musik-Top-Ten auch die neuesten flüssigen Entdeckungen der Redaktion präsentiert – nebst zehn ehrenwerten Konsumenten. Bundesweit gekauft und gelesen, schlug die lokale Szene allerdings als erstes die letzte Seite auf: In der „Aachener Gerüchteküche“ wurde gewitzt und gehässig getratscht, die ein oder andere Person wurde im Anschluss schon einmal stinkig, aber oft auch nur deshalb, weil sie nicht erwähnt worden war. Legendär auch die von der Bierfront organisierten Veranstaltungen: Beim sagenumwobenem „Alkmarathon“ wurden in ganz Aachen Tische mit allerlei exotischem Gesöff aufgestellt, der Sieger war nicht selten der Einzige, der sich am Schluss überhaupt noch auf den Beinen halten konnte. Auch die Bierfront-Partys z. B. in der Mensa, bei denen wie selbstverständlich Elektronik-Acts neben Deutschpunk-Bands auf der Bühne standen, hinterließen beim Publikum einen bleibenden Eindruck.

Im März gibt es nun zum Jubiläum nach langer Zeit wieder die Gelegenheit, solch eine Party mitzubekommen – aus diesem Anlass sprach ich mit Frank Castro aka Papst Pest, dem Gründer des Magazins.

Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! Ich denke, zu Beginn der Bierfront hätte wohl niemand mit 40 Jahren gerechnet?

Allerdings, der Beginn war ja völlig punkchaotisch, 1980 war ich gerade mal 15 Jahre alt – wenn auch schon mit 12 Jahren aktiv in Punkbands – und Fanzines waren cool. Damals war die allererste Ausgabe der Bierfront nicht mehr als eine doppelseitig kopierte A4-Collage! Ein sogenanntes Blattzine. Aber schon mit kurzen Bandgig-Reviews und einer Minikolumne über Punks am Markt in Aachen. Nach und nach entwickelte sich daraus dann aber mehr, so um 1982 gab es die erste DIN-A3-Version. Und nachdem der heutige Konzertagentur-Betreiber Günter Linnartz und Axel G. dazukamen, wurde die Sache bei allem Chaos doch immer größer, ehe es dann sogar überregional und im EFA-Vertrieb weiterging, so um 1984 rum. Es wurden dann schließlich bis zu 30 DIN-A3-Seiten draus, aber das Schnippel-S/W-Layout blieb bis zum Schluss. Sogar als es dann wieder nur noch eine Doppelseite wie zuletzt in der Movie gab. Aufgelöst hat sich die Bierfront ja nie, und selbst den Abonnenten verlangte man ein „regelmäßig unregelmäßiges“ Erscheinen ab. Später kam ja Manni Mix dazu, nachdem Günter aka J. Kimble und Axel nicht mehr dabei waren.

Eure Nummerierung war ja immer jahresbezogen. Wie viele Ausgaben gab es denn insgesamt?

Dafür reicht mein umnebeltes dementes Alk-Hirn leider nicht mehr. Aber es waren sicher mehr als 40! Die Nummerierung sollte man daher auch nicht so ernst nehmen.

Der Fokus der Bierfront lag ja stark auf Avantgarde-Künstlern und Exzentrikern. Was waren denn eure bizarrsten Erlebnisse?

Ja, außer auf alle relevanten Pop- und Rock-Subkulturgrößen gab es diesen Fokus auf sehr unterschiedliche Künstler, Exzentriker und Absurdes. Darunter waren u. a. der Yps-Heft-Gimmickentwickler, der u. a die springenden Bohnen aus Mexiko, die eigentlich Ungeziefer waren, in dieses Kiddie-Comicheft als Beilage holte; oder Christoph von der Sendung mit der Maus, den wir auf einem Festival beim Bierzapfen trafen und einfach interviewten. Oder Russ Meyer, der Sexfilm-König, der damals ins Diana-Kino in Aachen zu einer langen Russ-Meyer-Filmnacht angereist war und über seine Arbeit an dem „Who killed Bambi“-Film der Sex Pistols und den bösen Sid Vicious sprach, das Interview klaute dann damals der Spiegel! Dann Peter Thomas, der die ganze Edgar-Wallace-Filmmusik komponiert hatte, aber mir beichtete, dass er das meiste Geld für das Komponieren der Ampel-Melodie für blinde Fußgänger in den USA bekommen hätte. Und Lemmy von Motörhead, der den WDR rausgeworfen hatte, weil er lieber mit uns ein langes Interview machen wollte, da wir eine Kiste seines belgischen Lieblingsbiers mitgebracht hatten, was sein Manager nicht gerade lustig fand.

Gab es auch Leute, bei denen ihr nach ein paar Minuten dachtet: Fuck, das hätten wir lieber sein lassen?

Klar, einige Interviews und Leute waren dermaßen arrogant oder einfach nur langweilig.
New Order auf ihrer Blue-Monday-Tour wurden von uns wegen ihres sehr schlechten Livegigs danach gefragt, ob man nicht doch mit dem Drumcomputer den markanten Basslauf bei Blue Monday besser hinkriegen würde. Darauf kam es zum Streit und wutentbrannt verließen nicht wir, sondern sie die Backstage, und wir konnten den Kühlschrank leertrinken.
Ein anderes Mal war es eher tragisch, als die Australier Dubrovniks im AZ spielten, es war ihr erster Gig und sie hatten 48 Stunden Flug hinter sich. Dauernd schliefen sie beim Interview ein. Dann war da der Typ von Poison Idea, den wir unter einem Sauerstoffzelt befragten. Und viele waren noch zugedrogter und betrunkener als wir. Was aber selten uncool war.

Gab es mal die Überlegung, das Heft online fortzuführen, oder schied der Gedanke von vornherein aus?

Es gab diesen Gedanken, aber erstens wäre das nicht mehr das charmante Chaos-Heft geblieben und außerdem zu viel Arbeit gewesen. In Zeiten, wo halt jeder bloggt oder postet, passte das auch nicht mehr so wirklich rein. Was aber nicht heißt, dass es das irgendwie doch mal geben sollte. Als TikTok-, Instagram-, Wegwisch- oder Tinder-Bierfront!

Wie sähen denn deine aktuellen Alk-Top-Ten aus?

Ron Perla (Tenerife)
Dorada Bier (Tenerife)
Alles aus Tschechien an Bier
Kreuzberger vom Fass
Tschin Gin (CH)
Blance de Noirs Sekt (F/CH)
Judas (B)
Suff (Wein aus Berlin)
Orujo (Spain)
Cacique (Venezuela)

Bierfront 40 Jahre Party
13.03.2020 ab 20:00 Uhr, Hotel Europa

Live:
Brigitte Handley of the Dark Shadows plus special Guests
The Dial-Ups
Headfuckpest

plus DJs auf two Areas:
Manni Mix, Frank Castro, Mario DK, HC Guido plus many more from soul to punk to wave to indie to electropunk!

Trinkspiele!
Extrem undefinierbarer Bierfront-Welcome-Shot!
Videobeamer mit Fotos aus vielen Jahren!
Performances!
Alcolympics!
Kochen mit Bier!
Einseitige Bierfront-Sonderausgabe!

Charity-Veranstaltung für u. a. c.o.u.p., Cleaner-Projekt auf den Kanaren (upcycling, beach cleaning, Projektförderung in Westafrika u. v. m.)

zurück Szene putzen nicht vergessen
weiter Hier spielt die Musik: Locations, Proberäume und Tonstudios in Aachen und Umgebung