Hilfe zur Selbsthilfe – nach diesem Grundsatz der Montessori-Philosophie helfen Micha Landoll und das Team vom Verein „Aktion Sodis“ Menschen in der Region Micani, Bolivien. Dabei entwickeln sie gemeinsam mit einem Netzwerk aus Partnern in Bolivien technische Ideen und Bildungskonzepte, die es der lokalen Bevölkerung möglich machen, eigenständig Probleme in ihren Gemeinden zu lösen. Das Projekt „Aktion Sodis“ sollte ursprünglich vor der Verschärfung der globalen Corona-Situation im Heft vorgestellt werden. Die Corona-Pandemie beeinflusst natürlich auch die Arbeit des Vereins. Wir haben daher bei Mitglied Theresa Schmid nachgefragt, wie die Arbeit aktuell aussieht. In Kürze: Einige Projekte können nicht wie geplant umgesetzt werden, die Entwicklungsarbeit kann jedoch – trotz Herausforderungen – gemeinsam mit dem Netz an Kooperationspartnern weitergehen.

Der Verein: Mitglieder und Ziele

Der spendenfinanzierte Verein „Aktion Sodis“ besteht seit 2013 und ist aus einer studentischen Initiative der RWTH hervorgegangen. Dementsprechend sind ein Großteil der Mitglieder Studierende der RWTH aus verschiedenen Fachrichtungen. So kommen viele aus dem Bereich Maschinenbau oder Bauingenieurwesen, aber auch Architektur- und Lehramtsstudierende sind dabei. Infrastruktur, Gesundheit und Bildung sind die Hauptgebiete, die mit den Projekten verbessert werden sollen. Im Zentrum aller Vorhaben steht die Ausbildung von lokalen Experten und Expertinnen, sogenannte Yachaqkuna („diejenigen, die Bescheid wissen“), die sicherstellen, dass die Projekte auch langfristig ihre Wirkung entfalten können. Momentan gibt es 23 Yachaqkuna. „Unsere Vision ist es, dass die Menschen unsere gemeinsam umgesetzten Veränderungen nachhaltig in ihren Alltag integrieren. Im Umsetzungsprozess werden daher alle Herausforderungen aus einer Kombination von technischem Know-how der RWTH und der praktischen Erfahrung der Einwohner gelöst“, so Vorstandsmitglied Micha Landoll, der Maschinenbau mit der Spezialisierung Medizintechnik an der RWTH studiert. 2013 war er bereits im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres in Bolivien, im Laufe seines Studiums kam er zur „Aktion Sodis“. Zuletzt war er im Herbst 2019, zur Zeit der politischen Proteste gegen den damaligen Präsidenten Evo Morales, in Bolivien.
Micha Landoll ist vor allem in die organisatorische Arbeit des Vereins eingebunden. Er arbeitet eng mit den lokalen Partnern zusammen und fungiert als Schnittstelle zwischen den Akteuren in Deutschland und Bolivien. In Bolivien besteht der Verein „Fundación Sodis“, der als Partnerorganisation die Kontakte zu den einzelnen Dörfern herstellt. Außerdem wird die regionale Regierung in die Projektvorhaben miteinbezogen.

Die Region Micani – auf dem Weg zu besseren Lebensbedingungen

Bolivien ist trotz wirtschaftlicher Besserung immer noch das ärmste Land Lateinamerikas. Micani, ein Distrikt, der im Herzen Boliviens inmitten bergiger Landschaften liegt und in dem 475 Familien leben, ist laut den landesweiten Statistiken wiederum die ärmste Region Boliviens. Die Dorfgemeinden in Micani sind weit abgelegen und daher verkehrstechnisch schlecht erreichbar. Regenzeitlich bedingt leidet Micani phasenweise unter enormer Wasserknappheit, daher sind die Möglichkeiten der Anpflanzung von Früchten und Gemüse eingeschränkt. Mangelernährung, verunreinigtes Trinkwasser, Atemwegs- und Magen-Darm-Erkrankungen, hohe Kindersterblichkeit und niedriger Bildungsstand sind die großen Schwierigkeiten der Region.
Wie kommt hier die „Aktion Sodis“ ins Spiel? Der Verein setzt an unterschiedlichen Stellen an, so zum Beispiel im Bereich Gesundheit – ein vielschichtiges Thema, das nur durch eine Kombination aus Bildungsmaßnahmen sowie der Bereitstellung technischer Ideen und Ausrüstung angegangen werden kann. So werden nicht nur Trenntoiletten gebaut oder Wasseraufbereitungstechniken installiert, sondern auch regelmäßig Hygieneschulungen durchgeführt, die zum Beispiel in den neu errichteten Dorfschulen stattfinden. Solche ganzheitlichen Maßnahmen werden gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung geplant und anschließend von den Yachaqkuna umgesetzt.

Bei allen Vorhaben geht es aber zunächst darum, den Bedarf gemeinsam mit den Betroffenen festzustellen. „Zusammen mit den Bewohnern skizzieren wir Tagesabläufe, um herausfinden zu können, wo die Probleme im Alltag sind, um da anzusetzen“, so Micha Landoll. Ein Beispiel: Die erwähnten Atemwegserkrankungen resultieren zum Teil durch das Kochen an offenen Feuerstellen. Diese traditionelle Art der Essenszubereitung bedeutet nicht nur Brandgefahr, sondern auch eine hohe Rauchbelastung für die Lungen. Daher wurde im Rahmen des Projektes „Bildung bleibt“ an einer bolivianischen Berufsschule eine entsprechende technische Lösung für rauchfreie Kochstellen entwickelt und in die Realität umgesetzt. Mit solchen Unterrichtskonzepten werden Berufsschülerinnen und -schüler in Problemlösungsprozesse miteinbezogen und können so später selber zur Verbesserung der Gesundheitssituation in ihrem Land beitragen. Die geschulten Lokalexperten sorgen wiederum dafür, dass in möglichst vielen Haushalten solche Kochstellen errichtet werden.
Diese Herangehensweise zeitigt Erfolge. In den letzten vier Jahren wurden nicht nur 23 lokale Experten ausgebildet, sondern 331 Wasserfilter, 307 rauchfreie Kochstellen und 273 Trenntoiletten in Dörfern installiert.

Perspektiven schaffen durch Unternehmertum

Ein wichtiges Anliegen des Vereins ist es, Frauen zu ermöglichen, stärker an den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen im stark patriarchalisch geprägten Micani mitwirken zu können. Seit Juli 2019 gibt es ein Schulungsangebot, das – angepasst an den Alltag der Frauen – dezentral in den einzelnen Dörfern stattfindet. Das Angebot richtet sich aber an alle Mitglieder der Gemeinde, sodass Frauen und Männer gemeinsam auf Augenhöhe an einem Diskurs teilnehmen. Im Fokus der Schulungen steht die Förderung des Unternehmertums. So geht es beispielsweise darum, wie man ein familiäres Kleinunternehmen gründet und wie man damit einhergehende logistische und administrative Herausforderungen meistert. „Wir konzentrieren uns hier besonders auf den Anbau von Tara-Bäumen, die bei der Herstellung von Ernährungs- und Kosmetikprodukten verwendet werden können. So können Familien oder Dorfkooperativen langfristig ihre eigenen Einkünfte generieren“, erklärt Micha Landoll.

Lokale Akzeptanz fördern

Bei allen Projekten ist es wichtig, dass die technischen Lösungen von der lokalen Bevölkerung auch akzeptiert und genutzt werden. Das bedeutet, dass die Menschen den Umgang mit den Angeboten schnell und leicht erlernen können müssen. Tun sie das nicht, verfallen sie leicht in gewohnte Muster zurück. „Eine Familie hatte zum Beispiel Probleme, den Wasserfilter zu bedienen. Statt nach Hilfe zu fragen, ist sie lange zu einer Wasserquelle gelaufen, die sie nur mit schmutzigem Wasser versorgt hat“, erinnert sich Micha Landoll. Eines der aktuellen Projekte mit dem Titel „Wirkung erfassen, Wandel bewirken“ ist die Entwicklung einer App, die dem Monitoring von Projektfortschritten und der Akzeptanz der Projekte dient. Hierfür werden Befragungs- oder Beobachtungsdaten direkt in die mobile App eingegeben und sind so in Echtzeit allen Beteiligten zugänglich. Diese Daten können genutzt werden, um statistisch fundierte Entscheidungen zu treffen. Digitalisierung erhält hier also Einzug in die Entwicklungszusammenarbeit und trägt zu einer effektiven Arbeitsweise bei.

Update: Arbeit unter Corona-Bedingungen und die Situation in Bolivien

Aufgrund der Kontaktbeschränkungen läuft ein großer Teil der Arbeit des Vereins in Aachen momentan digital ab, so Theresa Schmid, welche für die Kommunikation des Vereins sowie für die Projektleitung von „Bildung bleibt“ verantwortlich ist. Erst seit Anfang Juni treffen sich die Mitglieder wieder zu Workshops in kleineren Gruppen. Die Reise der Freiwilligen nach Bolivien, die im April beginnen sollte, konnte nicht wie geplant stattfinden. Wie hier in Deutschland habe der Beginn der Corona-Maßnahmen auch in Bolivien zu Verunsicherung geführt, erzählt Theresa Schmid. Die Übergangsregierung verhängte eine strenge Quarantäne und die Bürger und Bürgerinnen durften nur zu bestimmten Zeiten, geregelt durch die Personalausweisnummer, das Haus verlassen. Es folgte eine „dynamische Quarantäne“, bei der die Maßnahmen auf die Fallzahlen der einzelnen Regionen angepasst wurden.

„Aktuell steigen die Zahlen im Land, und in Cochabamba, wo unsere Partnerorganisation, die ‚Fundación Sodis‘, sitzt, wird am Mittwoch, dem 24. Juni, wieder eine Phase der ‚Totalen Quarantäne‘ beginnen. In San Pedro und Micani ist die Lage ruhiger, jedoch können keine Reisen zwischen den Departamentos (Bundesländern) stattfinden. Durch die Kooperation mit dem lokalen Gesundheitszentrum und der Lokalregierung ist uns allerdings der Materialtransport von Cochabamba nach San Pedro weiterhin möglich. Drei Mitglieder unseres bolivianischen Teams leben in unserer Projektregion, sodass sie vor Ort sind und sich dort für unsere Projekte einsetzen“, berichtet Theresa Schmid. Natürlich könne momentan nicht alles wie geplant umgesetzt werden. So können beispielsweise keine Schulgärten an den Dorfschulen angelegt werden, solange diese geschlossen sind. Allerdings können Schulungen und Monitoringbesuche im kleinen Rahmen und unter Einhaltung der Corona-Auflagen stattfinden. „Seit Ausbruch der Pandemie haben wir mit unseren Partnern einen besonderen Fokus auf die Themen Hygiene und Gesundheit gelegt, neue Handwaschstationen eingerichtet und Schulungen für die Mitarbeiter des Gesundheitszentrums und der Lokalregierung organisiert. Zwar stellt uns die Pandemie vor neue Herausforderungen, doch läuft unsere Entwicklungszusammenarbeit weiter“, so Theresa Schmid.

Mehr Infos unter: aktion-sodis.org
Der Verein wird durch Spenden finanziert, Unterstützung ist willkommen.
Spendenkonto Aktion Sodis e. V.
IBAN: DE16 4306 0967 4048 2577 00
BIC: GENODEM1GLS

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