Am gestrigen Samstag gingen in Deutschland wieder Tausende gegen Impfpflicht und Corona-Maßnahmen auf die Straße. Während laut Tagesschau Bundesjustizminister Marco Buschmann die immer wieder ausufernden Corona-Demonstrationen nicht länger tolerieren will, da es immer wieder zu Ausschreitungen komme, hat Aachen die Lage augenscheinlich gut im Griff. Kundgebung und Demonstration „gegen JEDE Impfpflicht und für freie Impfentscheidung“ sowie die Gegendemo „Solidarisch auch in Krisenzeiten“ verliefen weitgehend friedlich. Ja, man reichte sich sogar an einigen Stellen die Hand. Wir waren bei beiden Demos dabei und haben mit Teilnehmenden, Passanten und Polizei gesprochen.
Demo „Solidarisch auch in Krisenzeiten“, Foto: Birgit Franchy

„Solidarisch auch in Krisenzeiten“ – 15 Organisationen rufen zu Demo gegen Maßnahmenkritiker auf

Elisenbrunnen, 15 Uhr. Nach und nach sammeln sich an diesem Ort alle, die der Einladung der Parteien und Organisationen die Partei, Volt, UWG, Die Linke.SDS, die Grünen und die grüne Jugend, die SPD, Juso HSG und Jusos, Seebrücke, Falken, Recht auf Stadt, DGB, der DGB Jugend und Fridays for Future gefolgt sind. Auch wenn es viele Veranstaltende sind und die Polizei mit großer Mannschaft am Platz ist, kommen hier vielleicht 200 Personen zusammen. Viel ist das nicht, bedenkt man, dass bei anderen Fridays for Future Veranstaltungen schon Tausende zusammengekommen sind. Die Altersstruktur ist bunt gemischt. Von der Schülerinnen bis zur „Oma gegen Rechts“ ist alles vertreten. Die Teilnahmebedingungen passen zum Aufruf. Hier ist nicht nur 2G+-Gebot, sondern auch das Tragen von FFP2-Masken wird verlangt – nicht alle halten sich an die eigenen Auflagen.
Die meisten Transparente richten sich gegen Rechts. Eine junge Frau wünscht sich zwar kein Kind, jedoch eine Impfung von Karl Lauterbach.

Pünktlich startet die Kundgebung. Verlesen werden zunächst die Ziele: hier will man vor allem klare Kante zeigen „gegen die geschichtsrevisionistische, antisemitische und menschenfeindliche Hetze der Querfront“. Mit ärmeren Ländern will man sich solidarisieren und für Impfstoff sorgen, zum Beispiel durch Freigabe der Impfpatente. Geflüchtete will man aufnehmen, dies müsse unverhandelbar sein und man wolle für ihren Gesundheitsschutz sorgen. Zudem solidarisiert man sich mit Pflegenden und Systemrelevanten und von Armut betroffenen Menschen.

„Wir sind mehr – wir sind für Impfung und für die Wissenschaft“ wird skandiert, die Menge applaudiert. Als nächstes betritt eine junge Sprecherin der Partei VOLT das Parkett. Sie schlägt versöhnlichere Töne an. Mahnt, man müsse miteinander im Gespräch bleiben, schließlich wolle man sich später auch noch in die Augen schauen können – auch wenn man die besseren Argumente habe.

Pro-Impfpflicht-Hymne der „Solidarischen“: Der Aachener Musiker Nic Knatterton mit seinem neuen Song „Impfkampagnenpropaganda“ – er wird später auftreten.

Kundgebung und Demonstration gegen JEDE Impfpflicht und für freie Impfentscheidung

An der Monheimsallee hat sich derzeit die andere Demo formiert. Veranstaltende sind hier das Aachener Bündnis „NEIN zur Impfpflicht“:‚Aachener für eine menschliche Zukunft‘, Querdenken 241Aachen, Freie Linke Aachen und ArbeitskreisGewerkschafter/Innen Aachen. Manfred Engelhardt ist Koordinator und Sprecher des ArbeitskreisGewerkschafter/Innen Aachen. Laut dem Gewerkschafter, der seinerzeit Personalratsvorsitzender des Studentenwerk Aachen war und für die SPD im Stadtrat saß (heute ist er parteilos) ist dies bislang die bestbesuchte Demonstration seit eineinhalb Jahren. Bis zu 2.200 Teilnehmende (Angaben der Veranstalter) setzen sich um 15:30 Uhr Richtung Elisenbrunnen in Bewegung. Auch hier eine bunt gemischte Altersstruktur, Familien laufen neben Studierenden, Ungeimpfte neben Geimpften und Geboosterten, die sich bewusst solidarisieren möchten und für eine freie Impfentscheidung plädieren. Laut Aufruf wendet man sich bei dieser Demo gegen die „Corona-Hysterie, die von bekannter Seite kräftig geschürt wird“ und die „letztendlich auch die allgemeine Impfpflicht forcieren soll, was einen massiven Eingriff in die verfassungsmäßig verbrieften Grundrechte dartstellt!“

Um 15:30 Uhr startet die Demo über die Monheimsallee über Bushof in Richtung Elisenbrunnen. Als die ersten beim Elisenbrunnen ankommen, haben die letzten die Monheimsallee noch nicht verlassen, schier endlos ist die Menschenmenge.

Hymne aus dem Lautsprecher hier: „Ich lasse mir den Mund nicht verbieten!“ von Taylor

Am Bushof freut sich ein strahlender junger Mann am Straßenrand über die Demonstrierenden: „Endlich gehen die Menschen auf die Straßen – sie sollen sich nicht von der Politik verarschen lassen.“

Lautsprecherdurchsagen der Veranstalter: Die Polizei hat an die Maskenpflicht erinnert, da Abstände nicht mehr eingehalten werden können. Die Menschen kommen der Aufforderung in so gut wie allen Fällen nach. Es gibt nichts zu beanstanden. Die Polizei lässt passieren.

Die Demos treffen aufeinander. Foto: Birgit Franchy

Konfrontation am Elisenbrunnen – „Alle zusammen gegen den Faschismus“

Spannend wird es am Elisenbrunnen. Ab 16:15 Uhr treffen die beiden Demos hier aufeinander. Ein Großaufgebot an Polizei flankiert die Szene, als die Maßnahmengegner auf die Gegendemo treffen. Demonstrierdende mit großen Bannern mit den Aufschriften „Nein zur Impfpflicht! Für freie Impfentscheidungen“ und „Wir sind die rote Linie“ als Reaktion auf die Neujahrsansprache von Kanzler Scholz betreten die Szene und werden niedergeschrien mit „Nazis – Nazis – Nazisnazisnazis“ und „Halt die Fresse“, dazu hüpfen die Gegendemonstranten auf und ab und zeigen ihre Stinkefinger.

„Versteh ich nicht“, kommentiert ein Passant die Szene. Der Deutschtürke gibt an, sich am Bushof spontan der Demo angeschlossen zu haben. Er sei „leider“ geimpft, weil es auf der Arbeit verlangt wurde. „Die Spaltung ist schlimm“, sagt er und „Mittelfinger hoch, wenn Argumente fehlen. Die Demo hat doch nichts mit rechts zu tun – kann doch jeder selbst entscheiden, ob er sich impfen lässt“. Wir wollen wissen, ob er denke dass die Demos etwas bewegen können. „Ich fürchte in Deutschland nicht“, gibt er resigniert an und sagt, dass er Angst habe um sein Kind, das er auf keinen Fall impfen lassen möchte und fürchtet, dass es irgendwann nicht mehr zur Schule darf.

Hoffnung macht die friedliche Demo. Provozieren lassen sich die Impfgegner hier nicht. Gegen das Geschrei und die Stinkefinger setzen sie einen anderen Vorschlag, bauen eine Brücke zur gemeinsamen Aktion: „Es ist schlicht und einfach gelogen,“ spricht jemand ins Mikro: „WIR. SIND. KEINE. NAZIS. Und aus diesem Grunde rufe ich ALLE – euch – uns – ALLE auf, das zu rufen was ihr gerufen habt: alle zusammen gegen den Faschismus – alle zusammen gegen den Faschismus alle zusammen – ALLE – nicht wir gegen euch! Alle zusammen!“

2.200 Menschen ziehen am Elisenbrunnen vorbei Richtung Markt.

„Sprechen ist immer besser“ – die Schlichter der Polizei. Foto: Birgit Franchy

Aachen mit guter Idee: „Kommunikationsbeamte“ der Polizei als wichtige Schnittstelle

In der Jakobstraße treffen wir auf die „Kommunikationbeamten“ der Polizei und kommen ins Gespräch. Dass hier alles so gut läuft, ist sicherlich auch dieser Idee zu verdanken, die eine Aachener Erfindung ist. Im Zuge der vielen Einsätze bei den Protesten im Hambacher Forst wurden sechs Beamte als Vermittler eingesetzt. „Sprechen ist immer besser“, meint der freundliche Polizist und „Kommunikation ist unser Job“.
Der Großdemo bescheinigt er, eine „friedliche Truppe“ zu sein, in Aachen gäbe es unter den Demonstriereden „keine nennenswerte Anzahl Rechter – wir kennen ja alle, die sich angemeldet haben“. „Schräg“ nennt er es, dass Menschen, die sonst bei Friedensdemos mitgehen, sich hier als Nazis beschimpfen lassen müssen. Dies sei eine „durchweg friedliche Demo, kein Grund einzuschreiten“.

Am Markt: „Wir werden euch alle impfen“ gegen „Frieden, Freiheit, Demokratie“

Derweil sind beide Demos zum Markt gezogen, allerdings haben sich die Reihen bei „Solidarisch auch in Krisenzeiten“ stark ausgedünnt. Übrig ist eine Gruppe von ca. 30 Personen, fast alle schwarz gekleidet und nicht nur bemaskt, sondern vermummt. Gebrüllt wird hier abwechselnd: „Abstand halten, Maske tragen, Nazis in die Fresse schlagen“ „Wir werden euch alle impfen“ „nie, nie, nie wieder Deutschland“, „es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“, „Deutschland verrecke“ oder „haut ab – haut ab“. Sprechen will man nicht mit uns.

„Frieden, Freiheit, Demokratie“ setzen die Impfgegner dagegen. Nach rund drei Stunden erreicht die Demo wieder die Monheimsallee und Manfred Engelhardt zeigt sich zufrieden. „Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“, das Heine-Zitat steht auf seinem Schild. Nach der Demo sieht er wieder ein Stückchen optimistischer in die Zukunft.
Kraftvoll, friedlich und sehr ausstrahlend gegen Impfpflicht habe er die Demo empfungen. Am Dienstag starten die Planungen für die nächste Veranstaltung. Ein bis zwei Demos im Monat soll es auch in nächster Zeit geben „wir müssen immer mehr werden“, hofft er, dass die Absurdität der Maßnahmen immer mehr Menschen mutig machen, für ihre Freiheit und Grundrechte einzustehen.

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