Vor 50 Jahren fand vom 10. bis 12. Juli auf dem Gelände des Reitstadions in der Soers das europop Festival statt

Als das Open Air Pop-Festival Aachen, auch als europop bezeichnet und später auch Soersfestival genannt, angekündigt wurde, wunderten sich viele nicht schlecht. Eines der ersten Open-Air-Festivals in Deutschland mit beachtlicher internationaler Beteiligung (unter anderem Deep Purple und Pink Floyd) sollte ausgerechnet in Aachen stattfinden? Kaum zu glauben!

Heute lässt sich nur noch fragmentarisch rekonstruieren, wie sich damals alles zutrug, denn die Quellenlage ist dünn und die noch lebenden Zeitzeugen erinnern sich nur bruchstückhaft. Interessant – und bisweilen amüsant –, aber wenig hilfreich sind die damaligen Ankündigungen der Veranstalter selbst. Meldungen über Verhandlungen mit den Rolling Stones überschlugen sich mit Verlautbarungen, dass Ginger Bakerʼs Air Force, Canned Heat, Donovan, Soft Machine oder John Lennon & the Plastic Ono Band im Gespräch seien. Das erzeugte eine Menge Aufmerksamkeit, aber weder die Stones noch eine der anderen genannten Bands konnten letztlich verpflichtet werden. Ein aus heutiger Sicht ziemliches Durcheinander, doch der Erfolg, also die faktische Durchführung des Festivals, gab den Veranstaltern am Ende recht.

Still aus dem Super-8-Film von Karl-Heinz Müller

Vorspiel. Wo und wer

Die Bezeichnung Soersfestival hat sich eingebürgert, da sie Bezug auf den Ort des Geschehens nimmt. Stattgefunden hat das Event nämlich im Reitstadion des Aachen-Laurensberger Rennvereins (ALRV) in der Aachener Soers. Ursprünglich war geplant, die Pop-Jünger (Zeitungsjargon der Zeit) auf die Tribünen zu verbannen. Der Rennverein machte sich Sorgen um seinen Rasen. Nicht die einzigen Ressentiments, mit denen die jugendlichen Veranstalter Karl-August Hohmann, Golo Goldschmitt (beide Studenten) und Walter Reiff (Betreiber eines Tanzcafés in Eschweiler) zu kämpfen hatten. Denn generell stand man weder von Seiten des ALRV noch von Seiten der Stadt einem Festival besonders offen gegenüber. Albert Vahle, damaliger Präsident des ALRV, versuchte, durch das Einfordern einer saftigen Miete (30.000 DM) und von Versicherungen und Kautionen die Veranstalter zur Aufgabe der Idee zu „bewegen“. Und der damalige Oberbürgermeister der Stadt, Hermann Heusch, soll sogar wörtlich gesagt haben, er werde das Festival „kaputtmachen“. Es heißt auch, dass Stella Artois als Hauptsponsor kurzfristig ausstieg, weil politischer Druck ausgeübt wurde. Keine optimalen Voraussetzungen also.

Die Konzertveranstalter in spe ließen sich von all dem nicht entmutigen. Unter Aufbringung aller Kräfte und Mittel konnte die Durchführung gesichert werden, und am Ende war das Festival auch seitens der Politik nicht zu verhindern. Aber die Stadt blieb argwöhnisch. Sie machte einen Sicherheitsdienst, bestehend aus sieben Ordnern pro 1.000 Besucher, zur Auflage. Der Kern der aus diesem Grund engagierten Truppe bestand aus etwa 50 Angehörigen einer Essener Sportschule, die von der Presse wie folgt charakterisiert wurden: „Unter ihnen Ringer und Judokas, zum Teil mit Meisterehren. Alle machen einen durch und durch gesunden Eindruck.“ Man kann sich ausmalen, welch eklatanter Gegensatz zwischen diesen durchtrainierten Athleten und den von in den gleichen Artikeln als „mittellos“ und „Gammler“ titulierten Festivalbesuchern bestand. Geradezu süffisant wurde über die verzweifelten Versuche einiger Besucher berichtet, sich freien Eintritt zum Festivalgelände zu verschaffen, und wie dieser ihnen von den besagten Sportlern mit handfesten Argumenten verwehrt wurde. Es ist anzunehmen, dass sich viele den Eintrittspreis von 12 DM für eine Tagesticket und 28 DM für alle drei Tage (im Vorverkauf) nicht leisten konnten.

Während viele junge Musikfreunde also von weit her anreisten, mutmaßlich keine Groschen auf der Tasche hatten und auf Zugang durch Glück oder Geschick hofften, kamen andere in den Genuss von Freikarten über den ALRV und stolzierten mit ihren Eltern über das Gelände, um sich mal anzusehen, was ihre Altersgenossen da so trieben. Es soll nicht wenige gegeben haben, die sich im damaligen Quellenhof an der Monheimsallee einmieteten. Peace, Love & Bequemlichkeit. Über die sogenannten Gammler wurde damals ausführlich berichtet, über die gut betuchten Schaulustigen, die sich nicht nehmen ließen, das Spektakel als Gaffer zu besuchen, und die Edelhippies findet man hingegen praktisch nichts.

Unbeeindruckt von den etwas holprig laufenden Vorbereitungen kurbelte das Veranstaltertrio Werbung und Vorverkauf an, und die Kunde vom Festival verbreitete sich bald über ganz Deutschland und halb Europa. Auch Peer van Daalen aus Berlin, der heute in Aachen lebt, hörte davon, holte sich in einem Ticketshop auf dem Kurfürstendamm für 28 D-Mark ein Festivalticket und machte sich auf den Weg nach Nordrhein-Westfalen. Zu Recherchezwecken überließ er mir das Originalprogramm im Zeitungsformat, auf das er in dicken Lettern handschriftlich auf einer Seite HANNOVER und auf der anderen KÖLN geschrieben hatte. Den Älteren unter uns dürfte jetzt, ebenso wie mir, Pipi in den Augen stehen. Die gute alte Zeit, als wir noch die Bundesrepublik per Anhalter durchquerten. Wo ist sie geblieben? Ich weiß, ich weiß. Es war längst nicht alles gut. Peer jedenfalls kam seinerzeit wohlbehalten in Aachen an. Über die auftretenden Bands und die Stimmung hat er nicht viel zu berichten. Wie die meisten ließ er sich auf der Woge des allgemeinen Hochgefühls durch die drei Festivaltage treiben. 1977 kam er zum zweiten Mal nach Aachen. Und diesmal blieb er für immer.

Wenn der Rubel rollt

Die Aussicht auf Umsatz zog nicht nur allerlei Kleingewerbe an, welches das Festival als Absatzmarkt für Räucherstäbchen und anderen Hippiebedarf nutzte, sondern rief auch einen kriminellen Trittbrettfahrer auf den Plan. Unter der Überschrift „280-Mille-Coup ist vereitelt worden“ rollte Golo Goldschmitt selbst den Fall für die Presse auf. Eine dreiköpfige Bande versuchte, 10.000 gefälschte Eintrittskarten an den Mann zu bringen. Mit dem Gewinn wollte sich der damals 25-jährige Hauptverdächtige in politisch linke Kreise in Aachen einkaufen. In den Jahren zuvor hatte er Anschluss an diese gesucht, wurde aber nicht ernst genommen, da seine Ideen (selbst den Linken) als zu irreal erschienen. Das alles gestand er nach der Überführung durch eine Essener Privatdetektei, die von Goldschmitt und seinen Kollegen damit beauftragt worden war, sich der Angelegenheit anzunehmen.


„Lange Haare und abenteuerliches Gewand gehen vielfach auch mit durchaus friedlichen Absichten überein.“


Selten, sehr selten berichtete die Presse im Vorfeld positiv über den Einfall der Pop-Jünger in der Kaiserstadt. Aus der ablehnenden Haltung gegenüber den Festivalbesuchern wurde kein Hehl gemacht. Immerhin öffnete die Stadt für die kommenden Tage drei Bunker (in der Sandkaulstraße, der Saarstraße und der Kasinostraße) als provisorische Übernachtungsmöglichkeit. Das Angebot wurde von vielen genutzt. Morgens gab es für die „Gäste“ Tee und Butterbrote. Wer sich nicht mit einem Bunkerzimmer anfreunden konnte und keine Geld für eine noble Unterbringung im Quellenhof hatte, der campte in der Soers auf Küppers Wiese oder übernachtete in einem 2.500 Personen fassenden Zelt direkt neben dem Reitstadion. Die Kleingärtner am Tivoli befürchteten trotz aller getroffenen Maßnahmen, dass sich ungebetene Gäste in ihre Lauben verirren könnten, und fragten prophylaktisch an, wie es eigentlich um den Schutz ihres Eigentums bestellt sei. Die Polizei wies diesbezüglich darauf hin, dass man nicht überall sein könne.

Let the games begin. Kann ich mal deine Karte sehen?

Wie oben bereits erwähnt, existierte anfangs der Plan, die Zuschauer auf die Sitzplätze zu verteilen. Immerhin hätten dort 40.000 Menschen Platz gehabt. Die Idee eines Sitzkonzerts gefiel dem Publikum aber so gar nicht, und so setze man sich über die Vorschriften hinweg und okkupierte den inneren Bereich, wo man sich nach Gusto platzierte, um sich umgehend selbst für diesen Akt des zivilen Ungehorsams zu feiern. Ordnungskräften und Polizei blieb nichts weiter übrig, als dem Geschehen zuzusehen (unter anderem vom Schiedsrichterturm aus). Bilder der hoffnungslosen Überfüllung, wie man sie aus Woodstock kennt, gab es in Aachen übrigens nicht, obwohl solches sicher einige befürchtet und andere insgeheim erhofft hatten. Viele Fotos zeigen einen eher weniger denn mehr gefüllten Reitplatz und leere Tribünen. Insgesamt sollen, auf drei Tage verteilt, etwa 40.000 Besucher anwesend gewesen sein. Was die Einnahmen angeht: Nach Abzug aller Kosten war das Festival für die Veranstalter eine Nullnummer. Gut, dass vorsorglich Rahmenattraktionen wie Schaumschlacht, Kirmes und Lichtdom schon im Vorfeld abgesagt wurden. So sparte man sich wenigstens die Vergnügungssteuer.

Am Eröffnungstag hatten die Veranstalter den Überblick über die Anzahl der verkauften Karten verloren. Man kann sich die Hektik vorstellen, die vor Ort herrschte. Immerhin standen die beiden Bühnen (jeweils 96 qm) und die Technik. Allerdings hatten die Headliner Traffic mit Steve Winwood und auch Fairport Convention inzwischen krankheitsbedingt abgesagt. Es kam hinzu, dass der eigentliche Opener für Freitag, Cuby + Blizzards, irgendwo in den Niederlanden, wahrscheinlich in einem Schneesturm, auf der Strecke liegen geblieben war und niemand einspringen wollte. Schließlich erbarmte sich Spencer Davis (was ihn als echten Chef auszeichnet), und er bestritt zusammen mit Alun Davies den ersten Auftritt des Festivals.

Der Stoff, aus dem Erinnerungen sind

Eine besondere Rolle in der kollektiven Erinnerung scheint ein Büstenhalter an einem Fahnenmast zu spielen. Sehr amüsant ist die folgende Stellungnahme dazu, die ebenfalls aus einem Zeitungsartikel stammt: „Soweit am Sonntagabend abzusehen war, verlief das Pop-Festival ohne schwerwiegende Vorkommnisse. Heute wird dann auch die rote Fahne, ein zweckentfremdeter roter Mantel, von der Fahnenstange inmitten des Turnierplatzes eingeholt sein. Es war wohl weniger eine politische Demonstration als vielmehr ein missglückter Gag. Denn nebenbei hatte dort auch ein BH im Sommerwind geflattert. Sicherlich ein Zeichen dafür, wieweit sich heute junge Mädchen zu ,emanzipierenʻ bereit sind.“

Was andere Ereignisse angeht, so geht die Wahrnehmung deutlich auseinander. Ein Gast aus dem niederländischen Weert, der mit Freunden anreiste und heute in Maastricht lebt, erzählte mir persönlich von seinem beeindruckendsten Erlebnis: Beim Auftritt von Deep Purple habe irgendwann die Bühne in Flammen gestanden, sagte er, weil Gitarrist Ritchie Blackmore mit seinem Instrument ein paar Scheinwerfer zertrümmerte. Die Band habe davon unbeeindruckt weitergespielt. Ein Vorfall, den sonst niemand bestätigt. Natürlich reden alle von den Tüten und den Bongs, die herumgereicht wurden. Peer van Daalen erzählte mir von Leuten, die Pillen dealten, ihm allerdings einen Placebo andrehten. Dergleichen findet sich öfter in den Berichten. Man muss, denke ich, festhalten, dass es insgesamt sehr gesittet und eher provinziell zuging. Georg Dünnwald brachte es 2006 in einem Erlebnisbericht für die AN folgendermaßen auf den Punkt: „[…] an Bierständen standen Pink Floyds und Deep Purples, wie wir sie nannten, neben uns Normal-Fast-Hippies und tranken ein Gläschen.“ Schon fast rührend klingt die Bewertung von Antje Hallmanzik in der Juliausgabe 1995 der Bad Aachen, wo sie festhält: „Die Kinder der Hippiebewegung und gelegentlich deren gesellschaftlich arrivierten Väter träumten damals gerne in den Marihuana-Farben.“ Und auf UnserAachen schreibt René H. Bremen: „Ob echt oder nachgemacht, jeder gab sich den Hippie-Anstrich, so gut er konnte.“ Dem ist wenig hinzuzufügen. Nach drei Tagen verlief sich die Menge friedlich und hinterließ, wie bei Festivals üblich, jede Menge Müll.

Wunschdenken

Im Gegensatz zu Woodstock, das schon bald Kultstatus erlangen sollte, geriet das Open Air Pop-Festival Aachen, vielleicht auch wegen des sperrigen Namens, in Vergessenheit. Zwar wurde alle Jubeljahre mal wieder lokal darüber berichtet, aber das Ereignis hatte, soweit ich das beurteilen kann, kaum Strahlkraft. Das schmälert selbstverständlich nicht seine Wirkung auf der ganz individuellen und persönlichen Ebene bei allen, die dabei waren. Das für mich mit Abstand Erstaunlichste an der ganzen Angelegenheit bleibt, dass drei Aachener, die ein paar Freunde in London und einige Kontakte in Aachen hatten, sich einfach auf den Weg machten. Neben Pink Floyd, die zum Headliner avancierten, und Deep Purple traten unter anderem Mungo Jerry, Free, Taste, Golden Earring, Can, Kevin Ayers, Tyrannosaurus Rex und (als einziger US-Amerikaner) Champion Jack Dupree auf. Bis auf die ganz großen Namen also ein Whoʼs who der progressiven britischen Musikszene. Heinrich Schauerte recherchierte für die AN, dass Golo Goldschmitt die Mitglieder der Band Raw Material (die später auch auf dem Festival auftrat) zufällig an einer Tankstelle kennenlernte. Das brachte den Stein ins Rollen und fast, ja fast hätten deshalb die Rolling Stones in Aachen gespielt.


„Open Air Popfestival 1970 im Reitstadion Aachen“, Super-8-Film von Karl-Heinz Müller


Peer van Daalen trampte von Berlin nach Aachen zum Festival. Die handbeschriebene Programmzeitschrift und die Drucksachen stammen aus seinem Archiv.


Quellen:

AN und AZ vom 9.-15. Juli 1970, AN vom 30.08.2006, Bad Aachen, Ausgabe Juli 1995

„Die Rock- und Popwelt zu Gast in Aachen – Aachen Open Air Pop Festival“ von René H. Bremen

„Pink Floyd kam für 2000 Pfund“ von Heinrich Schauerte

„Musikalische Grüße aus Aachen“ von Uwe Reuters

„Aachen Open Air Pop Festival“ auf Wikipedia

POP FESTIVAL AACHEN 1970 bei Aachener Untergrund Kultur

POP FESTIVAL AACHEN 1970 bei Aachener Untergrund Kultur, Nachschlag

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