Fredy Hirsch: Aachen entdeckt seinen vergessenen Helden


Am 11. Februar 2016 wäre Fredy Hirsch 100 Jahre alt geworden. Erst kurz vor diesem Termin rückte der vergessene Held, der seine Wurzeln in Aachen hat, in das Visier der Öffentlichkeit. Im Zweiten Weltkrieg war er Idol, Vorbild und natürliche Autorität für hunderte Kinder, deren Leben er in Prag und später im Familienlager Theresienstadt und auch im Kinderblock in Auschwitz-Birkenau maßgeblich verbesserte.

Held und Vorbild der Kinder

STAAC_SLG_Strassenfotos_Neupforte13_001Alfred (genannt Fredy) Hirsch wurde am 11. Februar 1916 als Sohn jüdischer Eltern an der Neupforte 13 in Aachen geboren. Sein Leben sollte nicht lange unbeschwert bleiben. 1926 starb sein Vater nach langer Krankheit, die Mutter war mit der Erziehung der zwei Söhne und dem Lebensmittelgroßhandel, den der Vater hinterlassen hatte, überfordert. Zwischenzeitlich überließ sie die Kinder sogar ganz sich selbst. Fredy besuchte die Hindenburgschule (heute Couven-Gymnasium); seine schulischen Leistungen ließen jedoch zu wünschen übrig, und als seine Versetzung gefährdet war, kehrte er schon als 15-Jähriger nicht nur seiner Schule, sondern auch Aachen den Rücken und verließ alleine die Stadt Richtung Düsseldorf und später Frankfurt.
Halt fand er in dieser Zeit in seinem Engagement für den deutschen Pfadfinderbund, im Sport und im jüdischen Glauben.
Als nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland das Leben für die jüdische Bevölkerung immer schwieriger wurde, ging er im November 1935 in die Tschechoslowakei ins Exil.
Aber auch dort verschlechterten sich die Zustände für die Juden zusehends. Der Besuch von Schule, Kino, Theater, Caféhäusern, Spielplätzen und Parkanlagen war verboten. Als auch der jüdische Sportverein Hagibor (Held) geschlossen wurde, übernahm Fredy Hirsch das Sportreferat und gründete den Spielplatz Hagibor, wo er zahlreiche Sportaktivitäten und Wettbewerbe organisierte. Großen Wert legte er auf freiwillige Disziplin, physische Tüchtigkeit und Kollektivgeist. Jüdische Kinder aus ganz Prag pilgerten hierher – Hagibor wurde eine Metapher für Hoffnung und Zuversicht. „Inmitten des Hasses, der Verbote, der Verfolgung und der Angst war er eine Insel, auf der das Wort ‚Zukunft‘ mit Leben gefüllt wurde.“[1]

Zeitzeugen schildern Fredy Hirsch als ihr Idol, Vorbild, Schönheit, Persönlichkeit und natürliche Autorität. Er sei eine Mischung aus jüdischem Zionisten und preußischem Offizier gewesen, erinnern sich Kinder von damals. Alle Mädchen seien in ihn verliebt gewesen, doch die Jungen lachten sie aus, denn Fredy Hirsch war homosexuell. Den Kindern war das egal, ebenso wie seine Sprache als Ausländer in Prag. [5]

Während seiner Arbeit bei Hagibor versuchte Fredy Hirsch, eine Massenevakuierung für Kinder und Jugendliche zu organisieren, doch am 4. Dezember 1941 wurde er gemeinsam mit anderen Mitarbeitern der jüdischen Gemeinde Prag nach Theresienstadt deportiert, um dort eine organisierte Struktur im Ghetto aufzubauen.

Wirken in Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau

In Theresienstadt herrschte eine unerträgliche Atmosphäre. Auf engstem Raum waren viele Personen zusammengedrängt, darunter auch Kinder. Andere Kinder wurden einfach von ihren Eltern getrennt und waren nur unter Fremden untergebracht.
Eine Jugendfürsorge und Kinderheime entstanden, unter den Organisatoren war der Ältestenrat des Lagers (um Jakub Edelstein), aber auch Egon (Gonda) Redlich und Fredy Hirsch, der vielen Kinder schon aus Prag bekannt war. Er organisierte besseres Essen für die Kinder und trieb sie zu Sauberkeit, Ordnung und Disziplin an, denn es galt, sie fit zu halten, damit sie nicht mit den Transporten in den Osten nach Auschwitz geschickt wurden.
Sein Schwerpunkt sollte wieder der Sport werden. Er schaffte es, einen der Ghettowälle, die das Lager umgaben, zu organisieren, den die Kinder und Jugendlichen als Sportplatz nutzen konnten, und veranstaltete auch hier Wettkämpfe und Spiele. Die Kinder sollten in einem verrohten Lager, wo jeder – auch mit unlauteren Mitteln – um sein Leben kämpfte, Werte für ein Leben nach der Hölle vermittelt bekommen.

Fredy Hirsch hatte in Theresienstadt etliche Gönner, denen er Vorteile für die Kinder abhandelte. Als im Sommer 1943 rund 1.200 verstörte Kinder aus Bialystok in Theresienstadt ankamen, konnte Fredy Hirsch nicht akzeptieren, dass niemand zu ihnen durfte. Er missachtete die Warnungen und versuchte, zu den Kindern zu gelangen, wurde jedoch erwischt. Zur Strafe wurde er am 6. September in einen der Septembertransporte nach Auschwitz-Birkenau gesteckt. In den Transporten waren auch 274 Kinder unter 15 Jahren. Dem Transport um Fredy Hirsch sollte es dabei besser ergehen als anderen Ankömmlingen. Sie kamen nicht in die Selektion, sondern Fredy Hirsch oblag es, wieder ein Familienlager zu errichten, wo die Kinder in einem Block leben durften.
(Was damals keiner wusste: Dies geschah nicht etwa aus humanitären Gründen, sondern rein zu Propagandazwecken der Nationalsozialisten – sollte das Deutsche Rote Kreuz hier vorbeischauen, würde ihm der Kinderblock präsentiert werden.)

Für den Kinderblock handelte Fredy Hirsch erneut viele Vorteile aus und ermunterte die Kinder zu Hygiene und Disziplin, (was sie ihm teilweise auch übel nahmen, zum Beispiel, wenn er sie im Winter anhielt sich mit Schnee abzureiben, weil es kein Wasser zum Waschen gab). Auch kulturelle Veranstaltungen und heimlicher Unterricht konnte organisiert werden. Immer wieder musste Fredy Hirsch jedoch erkennen, dass er die Kinder nicht retten konnte, zum Bespiel, wenn KZ-Arzt Mengele sich Zwillinge für seine Versuche holte. Dennoch war Fredy Hirsch immer der Hoffnungsträger der Kinder, und der Block 31 in Auschwitz-Birkenau galt unter den Kindern als „der einzige Ort, wo ein bisschen Menschlichkeit gewahrt wurde“ und als „Oase in der Wüste“. [3]

Diese Oase sollte jedoch ein jähes Ende finden. Genau sechs Monate nach Ankunft des Septembertransportes verbreitete sich das Gerücht, dass der ganze Transport ins Gas gehen sollte.
Fredy Hirsch wurde freigestellt, im Lager zu bleiben, doch er wollte seine Kinder nicht verlassen, wie Zeitzeugen angaben.
Von einem geplanten Aufstand ist in einigen Quellen die Rede, zu dem Fredy Hirsch das Kommando erteilen sollte. Er fühlte sich laut verschiedenen Quellen in dieser Situation überfordert und litt unter Nervosität und Kopfschmerzen. Was dann geschah, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Lange Zeit war die Rede davon, dass Fredy Hirsch sich in der ausweglosen Situation umgebracht habe. Das erscheint aber anhand der Tatsache, dass er die Kinder nicht alleine lassen wollte, unwahrscheinlich. Andere Zeugen wollen beobachtet haben, wie jüdische Lagerärzte Fredy Hirsch vergiftet haben, denn diese fürchteten den geplanten Aufstand, der sie das Leben kosten könnte, wo sie doch hofften, aufgrund ihrer wichtigen Position als Lagerärzte das Kriegsende zu erleben. [1] und [2]

Fredy Hirsch starb am 7. März 1944 in Auschwitz-Birkenau. Er war bereits im Krematorium, als der Septembertransport ins Gas geführt wurde.
Zeitzeuge Zeev Scheck sprach 1946 vor der Kommission des Lagers von Auschwitz über die Verdienste von Fredy Hirsch (sowie Gonda Redlich und Jakub Edelstein), die sich so sehr für die Kinder eingesetzt hatten und zog eine ernüchternde Bilanz: „All die Bemühungen und die Arbeit, die gesamte kollektive Fürsorge in geistiger und körperlicher Hinsicht, die gesamte kollektive und individuelle Erziehung brachten kein Ergebnis. Sie konnten den Kindern das Leben im Ghetto erleichtern. Sie konnten jedoch ihr fürchterliches Schicksal nicht abwenden.“
15.000 Kinder hatten Theresienstadt durchlaufen, 1.086 blieben im Winter 1944/45 dort und wurden befreit. Lediglich rund 100 Kinder über 14 Jahren kehrten aus den Konzentrationslagern im Osten zurück. Von den jüngeren Kindern war keins dabei. [3]

Doch gerade die Kinder, die überlebten, schildern die großen Verdienste von Fredy Hirsch, der sie bis zum Schluss schützte indem er sie als Betreuer der kleineren Kinder im Kinderblock einsetzte. 50 Jugendliche aus dem Kinderblock in Auschwitz haben das Ende des Krieges erlebt.

Fredy Hirsch, der schon als Jugendlicher immer auf sich alleine gestellt war und es gewohnt war, von der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht diskriminiert zu werden, hat sich auf vorbildliche Weise bis zu seinem Tod mit nur 28 Jahren immer für die Kleinsten und Schwächsten der Gesellschaft eingesetzt. Sein eigenes Leben zu retten stand dabei für ihn nicht im Mittelpunkt.

 

Quellen:
*1 Hannelore Brenner-Wonschick: Die Mädchen von Zimmer 28. Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt. Droemer, München 2004.
*2 Dirk Kämper: Fredy Hirsch und die Kinder des Holocaust. Orell Füssli Verlag, Zürich 2015.
*3 Marie Rút Křížková, Kurt Jiří Kotouč, Zdenek Ornest (Hrsg.): Ist meine Heimat der Ghettowall? Gedichte, Prosa und Zeichnungen der Kinder von Theresienstadt. Verlag Werner Dausien, Hanau 1995.
*4 Kulturverein Schwarzer Hahn e.V.: http://www.ghetto-theresienstadt.info (aufgerufen 2015-2016).
*5 Veranstaltung zu Ehren des 100. Geburtstages von Fredy Hirsch, unveröffentlichtes Filmmaterial
*6 Zeitzeugenberichte: http://www.ns-zeitzeugen.de/transkription_fredyhirsch.pdf (aufgerufen am 11.02.2016).

Foto: Fredy Hirsch als Pfadfinder / zur Verfügung gestellt von der Stadt Aachen
Foto Neupforte 13: Stadtarchiv Aachen, FORS 1 Denkmalpflegeamt – Stadtbild 1942/43

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