Für Demokratie sind alle – Ganser-Kritiker treffen in Aachen auf Ganser-Befürworter


Vorne im Bild: „Keine Demokratie-Feindlichkeit im Eurogress“; hinten: „Diplomatie – statt Waffen und Sanktionen“ | Foto: Franchy

Zwei Gruppen stehen sich gegenüber, die lautstark Reden skandieren – beide beanspruchen nicht weniger als den Kampf für die Demokratie für sich, getrennt durch eine Reihe Polizisten. Dieses Bild bot sich gestern auf dem Aachener Markt. Bevor im Rathaus eine Ratssitzung stattfand, protestierte das Bündnis „Keine Demokratie-Feindlichkeit im Eurogress“ für die Absage der Veranstaltung mit Friedensforscher Daniele Ganser, die Gruppe „Diplomatie – statt Waffen und Sanktionen“ wünscht sich den Auftritt, bei dem Ganser seine Sicht auf die Hintergründe des Krieges in der Ukraine darlegen will.

Gab es in Aachen schon einmal Proteste, die sich so an einer Person aufhängten?
Der angekündigte Besuch von Daniele Ganser am 28. März im Eurogress erhitzt die Gemüter derart, dass ein Bündnis aus 13 Parteien und Organisation sich die Absage der Veranstaltung auf die Fahnen geschrieben hat. Die Grünen, SPD, UWG Aachen, DIE LINKE, die Piratenpartei, Volt, Aachener Mutbürger*innen gegen Rechts, OMAS GEGEN RECHTS, Ukrainer in Aachen e. V., die Deutsch-Israelische Gesellschaft Aachen e. V. sowie der DGB Region NRW Süd-West hatten dazu aufgerufen, sich am gestrigen Mittwoch, dem 1. März 2023, auf dem Markt zu versammeln. Im Rathaus fand im Anschluss eine Ratssitzung statt, die Gelegenheit sollte genutzt werden, noch einmal den Unmut kundzutun, den der Besuch Gansers auslöste. In Dortmund und Nürnberg sind Gansers Veranstaltungen abgesagt worden, das wünsche man sich auch für Aachen. Rund 100 Personen folgten dem Aufruf auf dieser Seite, das Bild prägten neben Aachener Bürgern vor allem Omas gegen Rechts, junge Ukrainerinnen und eine Gruppe junger, schwarz vermummter Personen.

Meinungsfreiheit ist nicht verhandelbar

Der Gruppe gegenüber schlossen sich ebenfalls knapp 100 Menschen an. Geladen hatte hier das Bündnis „Diplomatie – statt Waffen und Sanktionen“. Dieses plädiert für Meinungsfreiheit und pro Auftritt Dr. Daniele Ganser.
Auffallend: Besonders DIE LINKE scheint in der Frage, welcher Seite man sich anschließen solle, gespalten. Nicht nur gehörte hier ein Redner der Partei an, sondern auch Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter aus Aachen (DIE LINKE), hatte sich in einer Pressemitteilung vom Dienstag unter der Überschrift „Daniele Ganser: Artikel 5 GG ist nicht verhandelbar“ zur Auseinandersetzung zu Wort gemeldet und erklärt: „Die Versuche, eine Veranstaltung von Daniele Ganser in Aachen zu verhindern, bewegen sich außerhalb des Rahmens der in Artikel 5 des Grundgesetzes verbrieften Meinungsfreiheit. Hunderte Aachenerinnen und Aachener haben inzwischen Karten gekauft und das Recht, sich ein unzensiertes Bild des Schweizer Friedensforschers zu machen.“
Er wies darauf hin, eine mögliche Absage in Aachen würde sich in ähnliche Vorgänge der Gegenwart einreihen, wie zum Beispiel die Absage eines Konzerts des Pink-Floyd-Gründers Roger Waters in Frankfurt oder – ebenfalls ganz aktuell – die Kündigung der Professur der Europawissenschaftlerin Ulrike Guérot durch die Uni Bonn.
„Diese dramatische Erosion demokratischer Grundrechte in Deutschland ist zutiefst Besorgnis erregend“, so Hunko in seiner Pressemitteilung. Die Absage der Veranstaltung ist für ihn nicht diskutabel. Seiner Pressemitteilung fügte er ein Zitat aus der Neuen Züricher Zeitung vom letzten Wochenende mit Blick auf Deutschland an, das gut zu den aktuellen Geschehnissen – auch in Aachen – passt: Der Reifegrad einer Demokratie zeige sich am Umgang mit kritischen Stimmen. Die Absage von Veranstaltungen kritischer Stimmen auf Grundlage von Gerüchten, Stimmungsmache oder einer vermeintlichen Kontaktschuld sei ein Kennzeichen autoritärer Systeme.
Die Gruppe „Diplomatie – statt Waffen und Sanktionen“ ist gut organisiert. Über Lautsprecher wird erklärt, wer die Person Ganser ist und warum es wichtig ist, Meinungsfreiheit und verschiedene Sichtweisen zuzulassen.

Die Gruppe „Keine Demokratie-Feindlichkeit im Eurogress“ wird von vermummten Personen unterstützt. Die Polizei bittet sie, die Vermummung abzulegen | Foto: Franchy

Ganser der Verschwörer und Rattenfänger

Das Bündnis „Keine Demokratie-Feindlichkeit im Eurogress“ vor der Rathaustreppe hat zunächst kein Mikro zur Hand. „Halt die Fresse, halt die Fresse“, rufen die jungen Schwarzverhüllten. Man fühlt sich an die Gegenproteste bei den Demonstrationen gegen die Impfpflicht erinnert. Dort zeigte die Antifa das exakt gleiche Verhalten. Auch jetzt tragen sie noch Masken oder verhüllen gleich das ganze Gesicht. Die Polizei schreitet an dieser Stelle ein, fordert die Gruppe auf, die Maskierungen abzunehmen, dann tragen sie nur noch Schutzmasken.
Mit Verzögerung greift auch „Keine Demokratie-Feindlichkeit im Eurogress“ zum Mikro. Jetzt schallen von zwei Seiten Reden über den Markt. Für diese Seite ist Ganser nicht Friedensforscher, sondern Verschwörer, Märchenerzähler und Rattenfänger, der die Menschen eloquent mit Lügen über eine Mitschuld der NATO in seinen Bann ziehe. Und wo Verschwörungen seien, sei auch der Antisemitismus nicht weit, lautet der Vorwurf. Schon in dem Aufruf zum Protest hatte sich die Gruppe gegen Ganser einiger Zitate des Faktenchecknetzwerks „Volksverpetzer“ bedient, das Ganser als Verschwörer und Antisemiten enttarnen will.
Sprechchöre „Stoppt Putin, stoppt die Russenpropaganda“ untermauern die Forderung, Ganser nicht nach Aachen zu bitten. Eine junge Ukrainerin spricht schließlich eindringlich von eigenen Erfahrungen im Krieg.

Spaltung ja oder nein

Das Schlusswort auf der Seite Bündnis „Diplomatie – statt Waffen und Sanktionen“ gehört Jochen. Er mahnt, demütig auf die persönlichen Erfahrungen der Menschen aus der Ukraine zu blicken. Und er mahnt, die Gemeinsamkeit der Gruppen auf den Punkt zu bringen, „dass wir hier alle für die Demokratie stehen“.
„Wenn wir – und ihr da drüben – nicht endlich mal auf einen grünen Zweig kommen und mal erkennen, dass wir vielleicht auf verschiedenen Ästen, aber am selben Stamm beheimatet sind, dann wird das so oder so nichts; egal ob der Ganser nun spricht oder nicht […] wir sollten ein bisschen vorsichtig sein, ehe wir den Riss hier zu stark aufreißen“, spielt er auf die Spaltung der Gesellschaft an, die in den letzten drei Jahren so deutlich geworden ist und nun auch in der Frage Auftritt Ganser und letztlich in der Frage, wie mit dem russischen Angriffskrieg und Waffenlieferungen weiter umzugehen ist, mündet.
Nicht so kritisch sehen die Spaltung die Teilnehmer der anderen Seite. Sie halten ein Plakat in die Höhe, das verdeutlichen soll, dass die Spaltung nicht durch die Gesellschaft ginge, sondern nur der kleine „blaue“, „braune“, dunkle Teil sich vom großen „bunten“, gelben, roten und grünen Teil abspalte.

In Aachen findet die Veranstaltung mit Ganser statt

Nach den Kundgebungen auf dem Rathausplatz zogen einige Teilnehmer beider Demonstrationen noch ins Rathaus zur Ratssitzung. Dort wollten sie ihre Anliegen erneut darlegen und sich für ihre Ansicht einsetzen. Bereits im Vorfeld hatte der Stadtrat verkündet, an der Entscheidung, dass Ganser auftreten wird, nichts mehr zu ändern. Es gebe für eine Absage keine rechtliche Grundlage, die es rechtfertige, den bestehenden Mietvertrag aufzulösen.

 

Zum Hintergrund – Wer ist Dr. Daniele Ganser und was ist in Aachen los:
movieaachen.de/volle-hallen-und-kritik-daniele-gansers-sicht-auf-ukrainekrieg-polarisiert-auch-in-aachen/

Fotos von den Kundgebungen:

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