Die Geschichte ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Da engagiert sich ein Architektenpaar für mehr innerstädtisches Grün, gewinnt mit einem ambitionierten Projektvorschlag einen Preis und verständigt sich mit einem Immobilienunternehmen darauf, das Ganze nach dem Prinzip Nutzung gegen Unterhaltung auf dem Dach einer Tiefgarage umzusetzen. So beginnt 1982 in Aachen eine nunmehr fast vierzigjährige Erfolgsgeschichte.

1975 sieht es noch nicht danach aus, als ob auf einer Brache in der Johanniterstraße jemals eine grüne Oase entstehen würde. Ganz im Gegenteil. Nachdem etliche ältere Gewerbebetriebe (unter anderem eine Lederfabrik und eine Druckerei) im Zuge einer sogenannten Blockentkernungssanierung niedergelegt wurden, sieht die Planung vor, an Ort und Stelle eine Tiefgarage zu errichten. Auch der Grund unter der heute noch existierenden Kratzenfabrik (die auffällige Mauer, die man auf den Fotos sieht, und der renovierte Teil mit dem Schornsteinstummel) steht dafür zur Disposition, ebenso wie das Grundstück, auf dem das Haus Nummer 26 in der Johanniterstraße steht. Das Wohnhaus wird schon mal vorsorglich entmietet. Dann geschieht allerdings sechs Jahre lang nichts.

Besetzung und neue Besitzer

Laut Aachener Stadtchronik dringen am 
2. März 1981 vierzig junge Leute in das leerstehende Gebäude ein und besetzen es, bis es kurze Zeit später von der Polizei geräumt wird. Mittlerweile hat sich allerdings einiges getan. Die Fabrik hat Denkmalstatus erlangt und der ursprüngliche Bebauungsplan ist wegen Verfahrensfehlern gekippt worden. Die Fabrik und das Haus Nummer 26 bleiben also stehen. Noch im gleichen Jahr wird das Haus in einem öffentlichen Bieterverfahren von Anne Klasen-Habeney und Achim Habeney, den besagten Architekten, erworben. Danach kehrt für weitere zehn Jahre Ruhe auf der Brache ein.

Da steht ein Baum auf dem Dach

Anfang der 90er Jahre wird die Planung wieder aufgenommen. Die Tiefgarage soll nun in einer kleineren Variante gebaut werden. Als Bauherr tritt die Firma Delius in Erscheinung, die auf Umwegen aus der ehemaligen Tuchfabrik Delius hervorgegangen ist und nun in Immobilien macht. Die Habeneys, die den ganzen Prozess aus der Nähe beobachten und begleiten, reichen zeitgleich 1991/92 einen Beitrag für den Wettbewerb „Mehr Natur in die Stadt“ des Landes NRW ein, bei dem sie am Ende unter den Preisträgern sind. Mit der Auszeichnung im Rücken wenden sie sich an Delius. Die Firma schickt sich gerade an, die Tiefgarage nach den geänderten Plänen zu bauen. Und es tritt ein, was geradezu unvorstellbar scheint: Ein Unternehmen, das man nach heutigen Maßstäben einen Investor nennen würde, setzt sich auf kooperative Weise mit einem doch sehr ungewöhnlichen Vorschlag von Bürgern auseinander und setzt ihn schließlich mit diesen gemeinsam um!

Ein Garten auf dem Dach eine Tiefgarage? Wie soll das gehen? Dass es geht, haben die Habeneys zusammen mit dem Bauherrn bewiesen. Die technischen Einzelheiten sind hochinteressant, führen aber hier vielleicht zu weit. Im Prinzip wurde das Garagendach, das ein leichtes Gefälle aufweist, mit Stufen versehen, um Wasserspeicher zu bilden, die wie ein Grundwasserreservoir funktionieren. Darüber befindet sich eine Humusschicht von stellenweise nur knapp 40 Zentimetern, in der dennoch im Laufe der Jahre stattliche Bäume wurzelten. Einen ganz besonderen Charme hat, dass einige der großen Bäume, die man heute im Garten vorfindet, nicht auf dem Dach stehen, sondern durch eine Art Luke aus der Tiefgarage herauswachsen. Eigentlich wurzeln sie also in der Parkebene, beziehungsweise darunter.

Gut für Mensch und Insekt

Wenn es schon eine beachtliche Leistung war, dieses weitsichtige Projekt zu planen und umzusetzen, so muss man noch höher anerkennen, was in der Folge an Herzblut und Schweiß über Jahrzehnte in den Garten floss. Und zwar unentgeltlich und rein zur Freude der Nutzer und der Nachbarn, denen so erspart blieb, auf ein vielleicht begrüntes, aber im Prinzip ödes Dach einer Tiefgarage zu starren. Stattdessen blicken sie auf einen lebendigen Garten. Dass auch die heimische Fauna von dem Flecken profitiert, stand vielleicht zu Zeiten der Planung gar nicht so sehr im Vordergrund. Heute, wo die Stadt händeringend nach nutzbaren Grünflächen sucht, um dem Insektensterben entgegenzuwirken, sieht man, wie elementar solche naturnahen Konzepte im urbanen Raum waren und sind.

2005. Noch mehr Land in Sicht

Zwar war dem angrenzenden Kindergarten bereits in der Planung eine beachtliche Fläche zur Nutzung zugesprochen worden, aber die kam nicht so recht zustande. Zwei eigens angelegte Teiche und eine parkähnliche Gestaltung dümpelten lange vor sich hin. Der erhöhte Betreuungsaufwand, wenn sich die Kinder im Garten aufhielten, wird als Grund dafür vermutet, dass der Garten seinerzeit kaum in die Aktivitäten des Kindergartens eingebunden wird. Anne und Achim Habeney bieten 2005 an, die Fläche mit zu übernehmen und den Kindern weiterhin den freien Zugang zu ermöglichen. Dem wird zugestimmt und damit wächst die zu unterhaltende Fläche noch einmal erheblich an.

Warum Afrikagarten?

Eine ganz neue Wendung bekommt die Angelegenheit schließlich vor vier Jahren. Da nehmen die Habeneys mit dem Garten zum ersten Mal am Tag des offenen Gartentors teil. So merkwürdig es klingt: Bis dahin hatten sie den Garten praktisch für sich alleine. Vor zwei Jahren dann der nächste große Schritt zur Öffnung des Gartens: die Beteiligung am Projekt „Gärten in Afrika“, das von der Initiative Slow Food ins Leben gerufen wurde. Ab nun darf jeder, der möchte, von Mai bis Ende September jeden Mittwoch von 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr im Garten für den privaten Verbrauch nach Herzenslust ernten. Um einen kleinen Obolus zur Finanzierung der Gärten in Afrika wird gebeten. Da das ursprüngliche Ziel von eintausend Gärten bereits 2013 erreicht wurde, liegt die Latte aktuell bei 10.000 Gärten. Die Kosten für einen Garten belaufen sich auf etwa 900 Euro. Für unsere Verhältnisse nicht viel Geld, um ein kleines, kommunales Gartenprojekt nachhaltig zu finanzieren. Für Afrika jedoch ist jeder Garten Hilfe zur Selbsthilfe und mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Afrikagarten hat ganz konkret bisher zwei Gärten aus Spenden finanziert. Einer davon wurde in Kapstadt angelegt, das mit Aachen seit 2017 eine Städtepartnerschaft verbindet. So. Damit wäre auch die Frage der Namensgebung geklärt.

Wenn man mit Anne und Achim Habeney heute durch den Garten spaziert, kommt es einem so vor, als hätte er nie eine andere Bestimmung gehabt, als irgendwann auch für die Allgemeinheit bzw. für ein guten Zweck geöffnet zu werden. Im Gegensatz zu manchen Privatgärten, die es hier und da in der Stadt noch geben mag – ich denke da speziell an das Frankenberger Viertel –, macht der Afrikagarten auf mich eher den Eindruck, als wäre er gerade aus einem Dornröschenschlaf erwacht, und die Habeneys kommen mir vor wie Statthalter, die die ganze Zeit liebevoll über ihn gewacht haben.

Was hat der Garten zu bieten?

Von Artischocken bis Zucchini findet man im Afrikagarten alles, was sich in unseren Breiten so anbauen lässt. Viele gängige Sorten von Gemüse und Obst sind ebenso vertreten wie die klassischen Gartenkräuter. Die Organisation des Gartens erinnert ein wenig an alte Bauerngärten. Angepflanzt wird, was man täglich in der Küche verwerten kann. No fancy stuff und nichts, was eher auf Feldern steht. Es gilt das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Aufgrund der großen Nachfrage ist man dazu übergegangen, Beliebtes und Schnellwüchsiges, wie etwa Salat, regelmäßig nachzupflanzen. Es empfiehlt sich, im nächsten Jahr einfach mal regelmäßig in der Johanniterstraße vorbeizuschauen und zu testen, ob einem das Angebot zusagt. Vielleicht gefällt einem ja auch der Gedanke, hier Gleichgesinnte zu finden, oder man zieht ein Engagement bei der Slow-Food-Bewegung in Betracht, für die Anne Klasen-Habeney für die Aachener Sektion auch die direkte Ansprechpartnerin ist. Auf jeden Fall ist der Afrikagarten ein ganz besonderer Ort und ein Glücksfall für Aachen. Wenn ich als Verantwortlicher bei der Stadt arbeiten würde, dann würde ich Anne und Achim Habeney sehr bald besuchen und mir für die kommende Gartensaison ein paar Tipps holen, wie es mit Fantasie und persönlichem Einsatz und ganz ohne Bürokratie gehen kann.

Adresse und Öffnungszeiten: Johanniterstraße 26. 2020 können wieder von Mai bis Ende September mittwochs von 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr ökologisch einwandfreies Obst und Gemüse für den Eigenbedarf gegen ein geringe Spende geerntet werden.
Kontakt über Slow Food Aachen: slowfood.de/slow_food_vor_ort/aachen/gaerten-fuer-afrika

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