Globaler Klimastreik – auch in Aachen gehen ver.di und Fridays for Future gemeinsam auf die Straße


Am 3. März 2023 haben in ganz Deutschland ver.di und Fridays for Future im Schulterschluss gemeinsam für verbesserte Bedingungen im öffentlichen Nahverkehr demonstriert. In Aachen haben sich dafür etwa 1.600 Menschen auf den Straßen versammelt und sind durch die Stadt gezogen, um ihre Anliegen publik zu machen und den Druck auf Politik und Entscheidungsträger zu erhöhen. Wir waren als Beobachter vor Ort.

ver.di fordert 10 % mehr Gehalt für alle Beschäftigten im ÖPNV

Die Gewerkschaft ver.di verhandelt im Moment im Rahmen der Tarif- und Besoldungsrunde öffentlicher Dienst Bund und Kommunen für höhere Gehälter der Arbeitnehmer. Dazu gehen Mitglieder der Gewerkschaft in den letzten Wochen bundesweit immer wieder auf die Straße, um auf sich aufmerksam zu machen.
Am Freitag, dem 3. März, steht dabei vor allem der ÖPNV im Mittelpunkt der Demonstrationen. ver.di fordert mehr Geld für Beschäftigte und einen Ausbau des Nahverkehrs. Kritisiert werden dabei die Versprechen der Politik, den Nahverkehr auszubauen, die bisher nichts als leere Worte gewesen seien. Inzwischen stehe selbst der Status quo in Frage, die hohe Belastung in Verbindung mit niedriger Entlohnung aufseiten der Arbeitnehmer führe zu hohen Krankenständen und dazu, dass viele Beschäftigte dem Arbeitsfeld den Rücken kehrten. Die Anzahl der Berufsanfänger, die wieder aussteigen, ist erschreckend hoch, dazu kommt, dass in den nächsten Jahren viele Beschäftigte in den Ruhestand gehen werden und somit mehr als die Hälfte der Mitarbeiter ersetzt werden muss.
Deshalb fordert ver.di 10 % oder 500 Euro mehr Gehalt für alle Beschäftigten im ÖPNV, zusätzlich soll der Ausbau des Nahverkehrs entschieden vorangetrieben und dafür die nötigen finanziellen Mittel sollen zur Verfügung gestellt werden. Dafür soll es möglich sein, tiefer in den Schuldentopf greifen zu können, was die FDP, die das Verkehrsministerium innehat, blockiere.
Klar ist für Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende, außerdem der Zusammenhang von Mobilitätswende und Klimawandel: „Ohne eine echte Mobilitätswende werden wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen.“ Genau darin liegt auch das gemeinsame Interesse der Gewerkschaft und der Organisatoren von Fridays for Future, das die beiden Gruppen zusammen auf die Straße treibt.

Foto: Lasse Falter

Fridays for Future solidarisiert sich mit den Forderungen von ver.di

Für die Organisatoren von Fridays for Future ist klar, dass die Klimaziele sich nur durch einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und eine Abkehr vom Individualverkehr realisieren lassen. Da der Verkehrssektor für 26 % der deutschen Emissionen verantwortlich sei, sei eine Veränderung der Bedingungen in diesem Bereich wesentlich für die Einhaltung der Klimaziele.
Deshalb solidarisiert sich Fridays for Future mit den Forderungen der Gewerkschaftler und fordert zusätzlich eine Verdopplung des Schienen- und Nahverkehrs bis 2030. Das 9-Euro-Ticket habe dahingehend gezeigt, dass eine große Nachfrage nur bei einem attraktiven Angebot entstehen kann.
Deshalb fordert Fridays for Future den Ausbau des ÖPNV und günstige Tickets, statt Geld in den Autobahnausbau zu stecken. „Mobilität darf kein Luxus sein, sondern muss klimagerecht und zugänglich für alle gemacht werden“, so Maja von Fridays for Future Aachen. „Dafür muss unsere fanatische Anbetung des Autos endlich enden.“
„Hohe Arbeitsbelastung, hohe Verantwortung und geringer Lohn passen einfach nicht zusammen“, stellt Stella von FFF (Fridays for Future) Aachen klar. Aus diesen Gründen will man den Schwerpunkt für den diesjährigen Globalen Klimastreik in Deutschland bei FFF auf die Verkehrswende legen, und deshalb geht man auch gemeinsam mit ver.di auf die Straße.
Zudem ist sich Fridays for Future sicher, dass die Appelle an die Politik versagt haben, eine politische Lösung sei nicht in Sicht. Deshalb muss eine Bewegung von unten zum Beispiel mit einem Generalstreik selbst die Initiative ergreifen, auch darum geht es den Organisatoren von Fridays for Future. Es müsse sich grundsätzlich etwas ändern, betont Nemo von Fridays for Future Aachen, da das kapitalistische System auf Ausbeutung und Ungleichheit beruhe.
Dass diese Ansichten und Forderungen über die pragmatischen Ziele der Gewerkschaftler, die hier lediglich für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, hinausgeht, steht am 3. März anscheinend im Hintergrund.

Foto: Lasse Falter

Diagnose Rauchlunge, kostenloser ÖPNV und Klima retten? Kapitalismus abschaffen!

Kurz vor 10 Uhr am Freitag sammeln sich bereits viele Teilnehmer der Demo am Bushof, von wo man durch die Stadt zum StädteRegionshaus in der Zollernstraße und dann zurück durch die Stadt zum Elisenbrunnen ziehen will. Bei den Demonstranten handelt es sich um eine sehr gemischte Gruppe von jungen Schülern und Schülerinnen über Studenten und Studentinnen bis hin zu Senioren und Seniorinnen mit Bannern von Omas for Future. Ein großes Banner ganz vorne, getragen von einigen jungen Schülern, formuliert das gemeinsame Anliegen: „Verkehrswende: sozial, gerecht und für alle, ver.di und fridays for future #wirfahrenzusammen #verkehrswendejetzt“, heißt es da. Ansonsten wirkt es eher wie eine normale Fridays-for-Future-Demo, die meisten Banner sind allgemein gehalten. Auf ihnen steht beispielsweise: „System change not climate change. Menschen statt Profite, Erneuerbare statt Fossile“, „Solidarität statt Klimakatastrophe“ oder „Menschen statt Profite“.
Vor Ort haben sich Scientists for Future, Omas for Future und Buddhists for Future versammelt, insgesamt eine sehr bunte Menge an Menschen. Auf einigen Bannern lässt sich der heutige Bezug der Demo zum Nahverkehr erkennen. Ein Plakat sieht aus wie ein Attest: „Diagnose Rauchlunge“, die Maßnahmen: „Kostenloser ÖPNV, sichere Radwege, mehr Grünfläche“.
Auf einem anderen Plakat, getragen von zwei Personen, heißt es: „Klima retten? Kapitalismus abschaffen! Für eine sozialistische Welt“.

Foto: Lasse Falter

Freude bei der Arbeit ist ein Muss, denn ich fahr nen Linienbus“ und „Fuck the system, not the climate“

„Heute ist kein Schultag, heute ist Streiktag, heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“, hallt es durch die Boxen, während die Schüler des Organisationsteams von Fridays for Future herumgehen und Zettel verteilen, auf denen die heutigen Demosprüche und Verhaltenshinweise stehen. Dort lernt man, dass man Demorufe von Personen mit Diskriminierungserfahrungen nicht übertönen, sondern sich diesen anschließen soll, und dass man sich an das Awarenessteam wenden kann, sollte man sich diskriminiert fühlen. Auf der Rückseite stehen dann die Demosprüche, von Arbeitsbedingungen für Busfahrer, ver.di oder Verkehrswende keine Spur, stattdessen Sprüche von Refugees for Future („nein nein nein, Kolonialismus nein“, „Solidarität refugees for future“), Sprüche zu Antirassismus („no border, no nation stop deportation“), Antikapitalismus („brecht die macht der Banken und Konzerne für das Klima unserer Erde“), Antifaschismus („von Lützi/Hambi bis nach Rojava Klimaschutz heißt Antifa“) und Klimagerechtigkeit („we are unstoppable another world is possible“).
Während durch die Boxen Rapmusik zum Thema Rassismus über den Platz tönt, kommt aus dem Bushof die Gruppe von ver.di zur Demo hinzu. In gelben Warnwesten heben sie sich von der sonst sehr bunten Demonstration ab. Neben ver.di-Fahnen tragen sie ein Banner mit der Aufschrift „Ins Personal investieren“. Das Anliegen ist klar. Während das Orga-Team von Fridays for Future nochmal über sein Awarenessteam und antirassistisches Verhalten aufklärt, hallt von hinten, wo sich die ver.di-Gruppe aufhält, ein Schlagerlied zum Thema Busfahren durch die Boxen („Freude bei der Arbeit ist ein Muss, denn ich fahr nen Linienbus“). Dabei entsteht ein Bild, als handelte es sich hier gar nicht um eine gemeinsame, sondern eher um zwei Demos, die zufällig hintereinander durch die Stadt ziehen. Dennoch teilt man ja ein gemeinsames Anliegen.
Während der Demonstrationszug durch die Stadt zieht, bleibt jedoch dieses Bild bestehen, vorneweg Fridays for Future, ver.di hinterher. Wären vorne nicht die Schüler und Schülerinnen mit dem Banner von ver.di und Fridays for Future, wüsste man nicht, was genau die beiden Gruppen verbindet. „Fuck the system, not the climate“ heißt es auf dem Plakat einer jungen Frau, eine Gruppe von Schülern trägt einen aufgehängten Eisbären über ihren Köpfen. Die Demonstrationsrufe helfen auch nicht dabei, zu erkennen, dass es hier um die Verkehrswende geht. Für Fridays for Future geht es vermutlich auch um viel mehr, Verkehrswende und gerechte Bezahlung sind dabei nur ein Teil.
„Kohlekonzerne baggern in der Erde, zerstören unsere Umwelt, nur für einen Batzen Geld, worin wir unsere Zukunft sehen, Erneuerbare Energien/Der Bagger muss in Flammen stehen“, „hoch mit dem Klimaschutz, runter mit der Kohle“ oder „what do we want? climate justice! when do we want it? Now!“, so tönt es durch die Megafone der Organisatoren.
Als die Demo dann vor dem StädteRegionshaus in der Zollernstraße zum Stehen kommt, wird nochmal deutlich, warum man heute gemeinsam durch die Straßen zieht. Ein Sprecher von ver.di kommt zu Wort und spricht von den Tarifverhandlungen und dem zu niedrigen Gehalt der Busfahrer, die nicht als Fachkräfte, sondern als Personal angesehen und dementsprechend niedrig entlohnt werden, obwohl sie systemrelevant sind. Dabei ist er umringt von Schülerinnen und bemerkt, als er von TvöD spricht: „Das sagt euch vermutlich nichts“, der Kern seiner Aussage, dass Busfahrer zu niedrig entlohnt werden, stößt trotzdem auf Verständnis und Applaus der Demoteilnehmer. Der Sprecher bedankt sich bei allen, die dabei sind: „Danke schonmal, dass ihr heute bei uns seid.“
Daraufhin zieht der Demozug weiter durch die Lothringerstraße und über den Kaiser- und Hansemannplatz Richtung Elisenbrunnen. Um 12:30 Uhr kommt der Demonstrationszug, etwas kleiner als zu Beginn, am Elisenbrunnen an, die Gruppe von ver.di ist deutlich ausgedünnt, da viele am nächsten Tag arbeiten müssen und nicht zu lange in der Kälte bleiben wollen. Die Verbliebenen sammeln sich auf dem Platz vor dem Elisenbrunnen, um sich zum Abschluss noch Reden von mehreren Sprechern anzuhören oder zum Fridays-for-Future-Onboarding zu kommen, die Organisatoren haben dort einen Infotisch mit verschiedenen Broschüren aufgebaut, verteilen Essen und bieten die Möglichkeit, direkt vor Ort am Fridays-for-Future-Plenum teilzunehmen.

Foto: Lasse Falter

FFF: Woke Leute woker machen und kostenloser ÖPNV für alle

Eine Rednerin stellt klar: „Fridays for Future in Aachen ist echt stabil, die sind so woke, die machen woke Leute wieder woker.“ Sie betont in ihrer Rede, dass die Forderungen an die Politik bisher nicht erfüllt worden sind und man den Druck auf die Politik verstärken muss, außerdem ist für sie klar: Konzerne, die Gewinne generieren, und die Erde retten, das kann nicht zusammenpassen. „Wie kann es sein, dass wir nicht mit Bus und Bahn umsonst fahren können? Wer steckt sich das ganze Geld in die Taschen?“, ruft sie durchs Mikro über den Platz. Eine andere Rednerin: „Unsere Grundversorgung darf nicht profitorientiert sein, wir brauchen einen Systemwandel, jetzt. System change, not climate change.“
Der Redner von ver.di, der auch vor dem Haus der StädteRegion gesprochen hat, ergreift nochmal das Wort und bedankt sich bei den Demonstranten von Fridays for Future, die verstanden haben, dass Klimaschutz und gerechte Bezahlung im ÖPNV zusammengehören, er betont, dass auch ver.di den Klimawandel erkannt habe und sich für Maßnahmen zum Klimaschutz einsetze, „den Klimawandel zu verhindern und die Verkehrswende gut hinzubekommen“ gehört für ihn zusammen.

Busfahrer: Wertschätzung fehle

Eine Mitarbeiterin der Aseag ist froh, dass so viele Menschen zu der Demo gekommen sind und sich für ihre Anliegen einsetzen. Darauf, ob sie sich denn auch mit den Zielen von Fridays for Future einverstanden sei und Rufe wie „Fuck RWE“ unterstütze, sagt sie, damit habe sie sich noch nicht beschäftigt, vorrangig sei sie froh, dass so viele Menschen vor Ort seien und die Busfahrer unterstützten. Sie spricht außerdem noch über die Arbeitsbedingungen der Busfahrer und Busfahrerinnen. Viele sind trotz ihrer Arbeit noch auf Sozialhilfe angewiesen, da sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, außerdem sei der Stress bei der Arbeit groß, Busfahrer würden täglich beschimpft werden, die Wertschätzung fehle, was sich auch im Gehalt ausdrücke. Sie hofft, dass sich durch die Tarifverhandlungen etwas in die richtige Richtung entwickelt.

Insgesamt ist die Stimmung am Ende der Demo gut, viele bleiben noch, um gegen eine Spende etwas zu essen oder sich die Infobroschüren durchzulesen. Auch wenn dies nicht mehr zur Demo gehört, lässt die Polizei sie gewähren. Die Demo am 3. März in Aachen ist friedlich verlaufen.

zurück Corona-Schutzverordnung NRW ausgelaufen: Masken nur noch für Besucher von medizinischen Einrichtungen
weiter Un|Gleichgewicht — Ausstellung und Performance im Atelierhaus Aachen