„Wer nicht an Magie glaubt, wird sie niemals entdecken.“ – sprach einst der große Roald Dahl und Recht hatte er.
Welche Rezeptur auch immer das Cocktail namens „Zauber“ braucht, Regisseur Dennis Krauß hat es gut geschüttelt, nicht gerührt, sämtliche Disney-Zutaten entfernt, Feen, Elfen und all die anderen, für uns Menschen unsichtbare Wesen, ihren angedachten Flügeln, spitzen Ohren und weiteren plakativen Merkmalen beraubt, sie schlicht und ergreifend auf menschliches, allzu menschliches reduziert … und siehe da: welch eine Magie entspringt der Bühne!

Als Ganzes auf ein Minimum reduziert, doch voller kleiner zauberhafter Details, „A Midsummer Night’s Dream“ brachte die große Bühne des Theater Aachen zum Beben. Eine coole Inszenierung passend zu einer coolen Musik, die jenseits des Nachsingbarem beheimatet ist. Keine eingängigen Melodien, die man auf dem Nachhauseweg leise vor sich hin murmelt, keine Arien, die man auf Best-Of-CDs findet.
Komponist Benjamin Britten fand einen eigensinnigen Weg, um mit all den Menschen- und Feenwesen umzugehen. Jedes Grüpplein, jeder Charakter, jede Sphäre dieser Geschichte erhielt eine spezielle, auf das feinste abgestimmte Stimmlage und Instrumentierung. Von den zartesten Glockentönen, über die liebliche Harfe bis zu den tiefsten Bläsern – ob Elfe oder grobschlächtiger Handwerker, ob entrückt lieblich oder ungeschliffen, ob tiefgründig romantisch oder frech humoristisch – Benjamin Britten jonglierte und überraschte. Countertenor für den Fürsten der Wälder (im ersten Moment fast ein Schock), Koloratursopran für die Gattin, zarte Kinderstimmen für die Elfen. Als Ideal der Gefühls-Stimmen gönnte er den Liebenden Sopran, Mezzosopran, Tenor und Bariton. Zauberhafter geht es kaum.

Die Kunst der Reduktion

Alles, was im herkömmlichen Sinne an Verzauberung erinnert, wurde rigoros weggedacht. Ein pfiffiger Kunstgriff, denn inmitten dieses Minimalismus tobt ein kreativer Wirbelsturm.
Vier Geschichten erlebt man an vier Tagen – vier Kreise dominieren die Bühne.
Zwei gegensätzliche Paare – in den Komplementärfarben Grün/Rot gekleidete Liebende.
Elfen, kleine gehorsame Wesen – in strenger Butler-Uniform gekleidete Kinder.
Die Liste der Kunstgriffe ist lang, es ist berauschend und inspirierend, welchen Feinsinn und Gespür für das Ungesagte diese Inszenierung serviert. Spüren, Erahnen, Fühlen. Trotz der formalen Strenge des Bühnenbildes, der Geradlinigkeit der Inszenierung entsteht eine Sogwirkung, magische Welten öffnen ihre Pforten. Eine kleine Verbeugung vor dem Meister des Lichtes, Dirk Sarach-Craig. Nie aufdringlich, immer sanft begleitend und hier und da führend – selten habe ich eine so auf den Punkt gebrachte Lichtgestaltung erlebt. Es ist eine Fabel- und Farbenwelt in der wir uns befinden, das eine ist kaum von dem anderen zu trennen. Wie Benjamin Britten seine Charaktere mit ausgewählten Tönen beschreibt, werden die Szenerien auf der Bühne mit einer eigensinnigen Licht- und Farbwelt umschmeichelt. Mal zart, mal krachend, nie wirklich nach vorne preschend und aufmerksamkeitshaschend – eine runde Sache.
Hand in Hand mit der Inszenierung gehen die Kostüme von Clemens Leander. Berauschend und zurückhaltend, ein wenig Alltag (der oberen Schicht wohlgemerkt, aber schließlich befinden wir uns im höfischen Milieu), ein wenig Prunk, kein bisschen Wonderland-Romantik.

Paul Hess, Thomas Scott-Cowell. Foto: Wil van Iersel

Die Kunst des Ausdrucks

Inmitten des großartigen Nichts, inmitten der von Farben umspielten (fast) Leere haben die Sänger eine weite Spielweise.

Puck – er scheint eine Art Pawlowschen Reflex bei Zuschauern auszulösen. In den Händen von Schauspieler Paul Hess hat dieser Reflex allerdings Berechtigung. Wer Dressurhengste bis zur äußersten Perfektion nachahmen kann („Totilas – der Ritt“, Gewinner des Wettbewerbs „Das beste deutsche Tanzsolo“ 2015), der vermag auch einem Puck die nötige Energie zu verleihen. Und irgendwie, mit Sicherheit nicht unabsichtlich, sieht er aus wie das alter Ego Shakespeares.

Tytania und ihr Oberon – sinnlich in gänzlich anderen Sphären unterwegs. Larisa Akbari bezaubert als Tytania mit der Agilität ihrer Stimme, ein wenig Lerche, ein wenig Nachtigall, ein wenig Zauberwesen. Countertenor Thomas Scott-Cowell, ein farbenfroher und facettenreicher Oberon, so wunderbar grenzüberschreitend, Schelm oder Liebhaber, Fürst oder verschmähter Mann.

Ganz und gar bezaubernd ist das Kinder- und Jugendchor Aachen. Kleine beflissene Diener, stimmlich zart und so durch und durch Präsent.

Die Menschenwelt kann mit der Kraft der Zauberwesen durchaus mithalten. Theseus und Hippolyta (David Jerusalem und Juliana Curcio) haben in der vertonten Version der Sommernacht eine etwas kleinere Rolle als im Schauspiel, jedoch stehen die Akteure mit dem wunderbaren Bass und dem verführerischen Alt keineswegs hinten an. Auch eine besondere Leistung der Inszenierung, es gibt keine „kleinen“ Rollen.

Die Liebenden – voller Irrungen, voller Wirrungen, erotisch aufgeladen, suchend und findend. Helena und Demetrius (Suzanne Jerosme und Ronan Collett) versus oder mit Hermia und Lysander (Fanny Lustaud und Joshua Owen Mills). Was für ein Fest! Ein Fest der Stimmen, ein Fest des Spiels. Glasklar und durchdringend bis zu den zartesten Tönen das Sopran von Suzanne Jerosme, durchaus erotisierend das Mezzosopran von Fanny Lustaud. Gasttenor Joshua Owen Mills und Bariton Ronan Collett vervollständigen das Quartett mit einschmeichelnd eindringlichen Stimmen. Männer, denen die Frauenwelt (der shakespearschen Zeit?) wenig entgegenzusetzen vermochte.

Ach ja: diese Handwerker. Damals wie heute geliebt und heiß begehrt. Aus welchen Gründen auch immer. In diesen lauen Sommernächten, mit oder ohne Hörner, sind sie ohne Zweifel die heimlichen Stars, die Spaßmacher, die, die das Lachen hervorzaubern. Wenn die Inszenierung ihres Auftrittes durchwegs wie eine gelungene Screwball-Komödie wirkt, umso besser. Bottom, Quince, Flute, Snug, Snout, Starveling (Stephanos Tsirakoglou, Pawel Lawreszuk, Edward Leach, Vasilis Tsanaktsidis, Marcel Oleniecki, Benjamin Bevan) haben hier durchaus Monty Python Potenzial. Besonders Bassbariton Stephanos Tsirakoglou als Bottom sorgt für etliche Lacher.

Jenseits großer theatralischen Gesten doch mit einer sehr exaltierten Körpersprache, mal Schattenspiel, mal Marionettentheater, an einem Ort, wo Licht und Schatten zusammenfinden und etwas Neues hervorbringen, wo sich die Welt immerfort dreht, wo Ausdruck und Empfindung sich umarmen, wo der eigenen Vorstellungskraft mehr als ein armbreit Raum gelassen wird – großartig und spannend gleichzeitig, wenn eine Inszenierung auf dem ersten Blick so vieles verspricht – und das auch halten kann.

Da ich mit einem Zitat anfing, will ich mit einem Zitat aufhören.
„Der Zauberstab ist mir gegeben. Ich muß ihn nur zu gebrauchen wissen.“ (Leo Tolstoi)
Hier wurde der Stab des Zaubers mächtig geschwungen – mit Wissen und Können und einer Messerspitze Magie.

A Midsummer Night’s Dream – Oper von Benjamin Britten
Inszenierung und Bühne: Dennis Krauß
Theater Aachen Bühne

Joshua Owen Mills, Fanny Lustaud, Suzanne Jerosme, Ronan Collett. Foto: Wil van Iersel
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