Volle Hallen und Kritik: Daniele Gansers Sicht auf den Ukrainekrieg polarisiert – auch in Aachen


Daniele Ganser | Foto: René Rickli

Dr. Daniele Ganser, Schweizer Historiker und Friedensforscher, ist derzeit mit seinem Vortrag „Warum ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen?“ auf Tour durch Österreich, die Schweiz und Deutschland. Er erläutert seine Ansichten über die Entstehung des Krieges und spricht sich für Friedensverhandlungen und gegen Waffenlieferungen aus. Nicht überall wird er mit offenen Armen empfangen. Auch in Aachen gab es im Vorfeld des Vortrags am 28. März 2023 heftige Kritik. Wer ist Ganser und worum geht es?

Auftritt Ganser | Foto: Dirk Wächter

Die Vorträge des Historikers ziehen viele Menschen an. Teilweise besetzt er Säle mit bis zu 2.000 Plätzen, die schon vorher ausverkauft sind – eher unüblich für einen Historiker. Dass nicht alle nur mit Freude auf die Vorträge warten, zeigt sich in diversen Tageszeitungen und auch in der Kommunalpolitik einiger Orte, die er auf seiner Tour besuchen möchte. Man versucht, sich gegen die Vorträge zu wehren, stellt Ganser als „Verschwörungsguru“ und „Holocaust-Verharmloser“ dar und will seine Vorträge trotz bestehender Mietverträge und ausverkaufter Hallen absagen. Aktuell konnte die Westfalenhalle in Dortmund, für die bereits 2.000 Tickets verkauft wurden, dem politischen Druck nicht standhalten und kündigte den Mietvertrag. In anderen Orten, wie Aachen, wurde eine Absage geprüft, dafür gab es jedoch keine rechtliche Handhabe.
Dennoch stellen die Autoren eines Artikels über Ganser in der Aachener Zeitung am 4. Februar die Frage, wie in Zukunft seine – oder andere unliebsame – Vorträge verhindert werden könnten, und setzen dabei auf den Verwaltungsausschuss um Sibylle Keupen. Eine Änderung der Richtlinien zur Vergabe der Säle könnte es ermöglichen, dass Veranstaltungen mit besonderer politischer Relevanz einen politischen Beschluss im Ausschuss erforderlich machen, um genauer überprüfen zu können, wer sich im Eurogress zu welchen Themen äußert. „Eine Buchung durch Figuren wie Ganser soll dem Eurogress nicht noch einmal durchgehen“, heißt es zum Abschluss des Artikels. Unklar bleibt in dem Beitrag, wer genau Ganser ist und was sein Vortrag inhaltlich enthält. Was hängen bleibt, ist: „Verschwörungsguru“ und „Holocaust-Verharmloser“.

Wer ist Dr. Daniele Ganser?

Der Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser hat an der Universität Basel im Jahr 2001 seine Doktorarbeit über Nato-Geheimarmeen in Europa veröffentlicht. Auf seiner Website heißt es, seine Forschungsbereiche sind internationale Zeitgeschichte seit 1945, verdeckte Kriegsführung und Geheimdienste, US-Imperialismus und Geostrategie sowie Globalisierung und Menschenrechte.
Seit sich Ganser nach den Anschlägen von 9/11 öffentlich geäußert hat und neue Untersuchungen gefordert hat, ist er in der Öffentlichkeit immer mehr als „Verschwörungstheoretiker“ gebrandmarkt worden. Von 2003 bis 2006 war Ganser an der ETH Zürich bei der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik tätig und forschte dort zu den Themen Sicherheitspolitik, Globalisierung und Menschenrechte als Sicherheitsexperte. Ganser hat inzwischen vier Bücher („NATO-Geheimarmeen. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ (2008), „Europa im Erdölrausch. Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit“ (2012), „Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien“ (2016) und „Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht“ (2020) ) veröffentlicht und ist Spiegel-Bestsellerautor, nach eigenen Angaben mit über 200.000 verkauften Exemplaren.
Seine Aussagen erregen immer wieder öffentliches Aufsehen und bringen ihn auch in Verruf. Er kritisiert dabei die USA, der er völkerrechtswidrige Bombardierungen verschiedener Länder vorwirft, und äußert sich bereits seit Jahren zu politischen Themen wie der Ukrainekrise.
In den Mainstream- und öffentlichen Medien verschrien, ist Ganser in kleineren alternativen Medien eine beliebte Persönlichkeit, die häufig zu Interviews und Gesprächen eingeladen wird. Sein YouTube-Kanal, auf dem er Vorträge, Interviews und Videos veröffentlicht, hat fast 300.000 Abonnenten. In der Corona-Zeit kritisierte er die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und die damit einhergehende Spaltung der Gesellschaft. Er setzt sich gegen Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften ein und gibt immer wieder Ratschläge, wie man aufeinander zugehen könne, und hängt dafür sogar Plakate im Baseler Bahnhof auf. Seine Kritik an den Regierungsmaßnahmen verschafft ihm hier das Label des „Corona-Leugners“.

Gansers Ansichten zum Ukrainekrieg

Ganser äußert sich seit 2014 zur Ukrainekrise. Diese ist nach dem russischen Angriff 2022 dramatisch eskaliert. Dies ist Anlass für die Tour des Historikers. In dem Vortrag „Warum ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen?“ erläutert er seine Sicht auf die Hintergründe des Konfliktes.
Er spricht über die Vorgeschichte des Krieges, die seiner Ansicht nach mit dem Wortbruch der Nato und ihrer Osterweiterung beginnt, sich mit den Schüssen auf Polizisten und Demonstranten auf dem Maidan und der Amtsenthebung des damaligen Präsidenten Janukowytsch fortsetzt und dann in der Annexion der Krim 2014 und dem Angriff Russlands 2022 ihren Höhepunkt findet.
Er verurteilt die Invasion Russlands als völkerrechtswidrig, spricht jedoch auch der Nato eine Teilschuld zu, was ihm von Kritikern gerne vorgeworfen wird. Er nennt den Krieg in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg zwischen der Nato unter Führung der USA und Russland, der auch zwischen diesen Parteien gelöst werden muss. Für den Historiker ist Deutschland dadurch, dass ukrainische Soldaten auf deutschem Boden ausgebildet werden und jetzt auch Panzer geliefert werden, zur Kriegspartei geworden. Seiner Position nach müssen sowohl Biden als auch Putin anfangen, deeskalierend zu wirken, Panzerlieferungen sind für Ganser keine Lösung, die den Krieg schnell beenden, sondern tragen nur zu weiterem Leid und zur Zerstörung des Landes bei. Er kritisiert zudem auch den Erdgasimportstopp, der vor allem Deutschland schade. Hier steigen die Energiepreise enorm, während Russland sein Gas auf dem Weltmarkt an andere Parteien wie China oder Indien verkaufen kann. Die Medien sieht Ganser als Kriegstreiber, die den Gegner dämonisieren, zu einer Eskalation der Lage beitragen und Kriegsstimmung schüren.
In seinen Vorträgen spricht er immer wieder von der „Menschheitsfamilie“, ein von ihm verwendetes Konzept, welches deutlich machen soll, dass alle Menschen zusammengehören und friedlich miteinander leben sollten. Seine Aussagen mögen umstritten sein, er stützt sie jedoch argumentativ mit Daten und Fakten und vermittelt seinen Zuhörern allem voran, dass sie kritisch sein und sich ein eigenes Bild machen sollen.

Die Vorwürfe

Medial wird Ganser gerne als „Verschwörungsguru“ dargestellt, der seine gefährlichen Ansichten unters Volk bringen möchte und damit sein Geld verdiene. In dem Artikel vom 4. Februar in der Aachener Zeitung wirft man ihm vor, dass er sich während der Corona-Pandemie „mit eigensinnigen Holocaust-Vergleichen“ negativ hervorgetan habe, und stellt fest, dass seine Aussagen haarscharf am Verfassungswidrigen vorbeischrammen.
Dazu werden immer auch einige Experten, wie der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, zitiert. Dieser hält Ganser für einen „antiwestlichen Verschwörungsunternehmer“, der durch seine Gleichsetzung der Corona-Pandemie mit dem Holocaust diesen verharmlose und die Ermordeten verhöhne – ein gerne genutztes Argument während der Pandemie, um Kritiker zu diskreditieren.
Auf seine Holocaust-Verharmlosung bezieht sich auch ein zweiter Artikel in der Aachener Zeitung vom 10. Februar, der auf einen offenen Brief der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Aachen eingeht. In diesem Brief wenden sich die Vorsitzenden der Gesellschaft an die Stadtverwaltung und kritisieren den Historiker aufs Schärfste. Es heißt dort: „Es kann nicht sein, dass Demagogen, die die Grundfesten unserer Demokratie und unserer offenen Gesellschaft in Frage stellen, hier Raum gegeben wird, für seine demokratie- und menschenfeindlichen Gesinnungen zu werben.“ Und weiter: „Was uns als Deutsch-Israelische Gesellschaft aber besonders entsetzt, sind seine antisemitischen Ausführungen zu den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die er mit dem Dritten Reich gleichsetzt und in denen er Nichtgeimpfte mit den Juden im Naziregime vergleicht.“ Ganz schön heiße Anschuldigungen, die, wenn sie der Wahrheit entsprechen würden, bestimmt eine mögliche Absage der Vorträge Gansers rechtfertigen könnten. Schließlich ist die Verharmlosung oder Leugnung des Holocausts nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und in Deutschland verboten. Was ist also dran an den hier erhobenen Vorwürfen?

„Ganser selbst – das muss klar gesagt werden – ist nie durch rassistische oder antisemitische Äußerungen aufgefallen.“

Die Vorwürfe, dass Ganser den Holocaust verharmlosen würde, beziehen sich vor allem auf ein Zitat von ihm aus dem letzten Jahr. Im Film „Pandamned“ von Marijn Poels, der den Abbau der Bürgerrechte während der Corona-Pandemie thematisiert und kritisiert, kommen Virologen, Ärzte, Politikwissenschaftler und auch Daniele Ganser als Historiker zu Wort.
Er wird dort im Baseler Bahnhof mit Poels aufgenommen. Der Filmemacher fragt ihn, ob es eine Spaltung wie während der Corona-Zeit schon einmal gegeben habe, darauf Ganser: „[…] Oder im Dritten Reich Juden und Nazis, da haben die Nazis gesagt, die Juden, das sind Tiere und haben sie vergast. Oder in Kambodscha hat Pol Pot eine Revolution gemacht und hat gesagt, alle, die Brille tragen, das sind die klugen Menschen, das ist die Oberschicht, die müssen wir umbringen „killing fields“. Das heißt, es gab immer lokal in einzelnen Ländern Wahnsinn – ist ja Wahnsinn. Aber jetzt ist weltweit Wahnsinn. Also das ist neu, dass eigentlich jetzt in der ganzen Welt diese Spaltung zwischen geimpft und ungeimpft ist und dass die zwei Gruppen wie Armeen gegeneinander ziehen.“
Das Zitat bezieht sich ausdrücklich nur auf die Spaltung innerhalb der Gesellschaft und vergleicht nicht die Verbrechen, die der jüdischen Bevölkerung angetan wurden, mit den Corona-Maßnahmen. Dr. Daniele Ganser sagt dazu auf unsere Anfrage: „Ich habe nie antisemitische Äußerungen gemacht. Das ist eine Lüge. Ich sage immer: Wir gehören alle zur Menschheitsfamilie. Ich habe mit dem Zitat vor der Spaltung der Gesellschaft gewarnt. Das wird mir jetzt als antisemitisch ausgelegt. Völliger Unsinn.“
Ihm aus dieser Aussage Antisemitismus vorzuwerfen, wirkt absurd, vor allem da sich der Historiker immer wieder gegen Spaltung und für ein friedliches Miteinander aller Menschen einsetzt – und er ist einer, dem man abnimmt, dass er es auch genauso meint. Oft stellt sich die Frage, ob die Autoren die Positionen Gansers und seine Arbeit kennen, wenn sie äußern, er würde menschen- und demokratiefeindliche Gesinnungen verbreiten.
Selbst der Amerikanist Michael Butter, der zu den Personen gehört, die Ganser inhaltlich scharf kritisieren, sagt in einem seiner Artikel: „Ganser selbst – das muss klar gesagt werden – ist nie durch rassistische oder antisemitische Äußerungen aufgefallen.“
In den meisten Schmähartikeln über Ganser fehlen inhaltliche Argumente gänzlich, dort werden lediglich Labels wie „Verschwörungsguru“, „Corona-Leugner“, „Putin-Versteher“ oder „Holocaust-Verharmloser“ genutzt, um ihn und seine Arbeit zu diffamieren. Es mag durchaus Punkte geben, die sich inhaltlich kritisieren lassen, dies sollte jedoch mit Argumenten statt mit leeren Phrasen getan werden.

Austausch und Widerspruch sind wesentliche Bestandteile der Meinungsfreiheit

Wenn dann noch überlegt wird, wie man Vorträge eines Redners, der einem vielleicht nicht passt, in Zukunft verhindern kann, gibt dies eigentlich viel mehr Auskunft über das eigene Demokratieverständnis. Hier wird versucht, eine Meinung, die man nicht teilt, mit Mitteln der Diffamierung oder des Verbots im Keim zu ersticken. Dabei sind Austausch und Widerspruch wesentliche Bestandteile eines demokratischen Prozesses. Durch den Umgang mit seinen Vorträgen wird man einer Chance des offenen Diskurses und der Entkräftung von falschen Argumenten nicht gerecht und offenbart die eigene Engstirnigkeit.

Und eine weitere Frage wird aufgeworfen: Maßen sich – zum Beispiel in Aachen – Stadtverwaltung und Politik wirklich an, in Zukunft alle Veranstaltungen auf ihre political Correctness zu überprüfen? Dann hätte es sich angeboten, schon die Reden der Veranstaltung „Karnevalsorden wider den tierischen Ernst“ gegenzulesen. So mancher Beitrag ist dem Publikum sehr übel aufgestoßen. Oder sich zu erkundigen, was Sarah Bosetti da so zum Besten gibt, die wenige Wochen nach Ganser im Eurogress auftreten wird. Immerhin hatte sie in der Corona-Zeit Ungeimpfte mit dem Blinddarm der Gesellschaft verglichen, um dessen Abspaltung es nicht schade sei. Dem einen oder der anderen dürfte auffallen, wo es so einen Vergleich schon einmal gegeben hat. Da sind dem Eurogress und der Stadt also schon ganz andere Patzer unterlaufen. Aber selbst wenn: Mündige Bürger sollten sich selber ein Bild machen können – und genau das fordert auch Ganser.

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