Sind wir nicht alle ein bisschen …

… Dosenfleisch? Eingequetscht in welchen Behältnissen auch immer, aus welchen Umständen, durch wen auch immer. Meistens lassen wir uns gerne einquetschen, weil das nun mal irgendwie der Lauf der Dinge ist. Aber eigentlich ist es die Gesellschaft, sie übt den Druck aus, sie presst uns in die Dose, sie macht uns passend. Wir können nichts dafür. Eigentlich wollen wir raus. Und doch sind wir alle Dosenfleisch. Klingt lustiger als Sardinen.

„das alles hier ist eine nische nur in raum und zeit, ein durchgang.“
Die Zeit fließt anders in dieser Raststätte. Vielleicht in jeder, aber ganz besonders in dieser von Autor Ferdinand Schmalz in kunstvolle Sätze verpackten Festung der Rast. Nicht als würde Beate, Regentin in den eher unwirtlichen Gemäuern, ihre Gäste festhalten. Zumindest nicht alle … Nein, im Grunde ist jede Raststätte eine Festung, ein Schutzort, ein Ort des Ruhens, hier werden Mensch und Maschine aufgetankt, für die Welt da draußen wieder startklar gemacht. Ein sicherer Hafen für einige wenige, Durchgang für die meisten. Und da Helden eher in der Minderzahl sind, geht es hier um die einigen wenigen.

„mit einem dumpfen knall. mit einem dumpfen knall. mit einem dumpfen knall zerplatzt der falter an der windschutzscheibe jetzt.“
Ein bisschen „Man in Black“ direkt am Anfang. Als Torsten Borm mit sonor verdrehter Stimme in der Rolle des wegen eines Fleischnebels gestrandeten Fernfahrers seinen ersten wahnwitzigen Monolog beginnt, weiß man bereits: Das wird ein guter Abend! Erstens weil Torsten Borm perfekt für diese Rolle ist. Mit geisterhafter Maske und leicht irren Augen, in denen man förmlich die monoton vorbeiziehenden weißen Mittelstreifen sich spiegeln sieht, ist er (natürlich nur auf der Bühne) der Inbegriff einer „gestrandeten“ Existenz. Mit der eines Fernfahrers würdigen Anmut nimmt er von der Bühne Besitz, und schon sein pures Da-Sein, der wortlose Aufenthalt am Rande des Geschehens, gibt der Szenerie eine andere Dimension.
Zweitens: Bereits der erste Monolog offenbart den „Schmalz-Sound“, dieses Künstlerisch-Künstliche, diesen mitreißenden Rhythmus aus Worten, die kaskadenartige Sätze bilden, diese unverwechselbare Melodie der Sprache.

Thomas Hamm, Maresa Lühle. Foto: Carl Brunn

„sie sind seit einer stunde da.“ Spricht Beate, gewollt, aber nicht gekonnt höflich. Aber hey, wer verbringt schon mehr als sechzig Minuten an einer Raststätte. Was lungert auch so ein Rolf bei ihr herum? Und Beate kann ihren Worten Nachdruck verleihen, wie viele Menschen, die ein Mal tragen. Sie trägt das Mal des Verlustes. Ihr Heim fiel einst der Autobahn zum Opfer, nun ist die Autobahn ihr Heim. Und das wird verteidigt, ohne Wenn und Aber.
Maresa Lühle, Gast am Theater Aachen, gibt der Figur eine tragikomische Tiefe, irgendwo zwischen Mutter Courage und Vivienne Westwood changierend, mit leicht abgeblättertem Putz, resolut und eine Spur ordinär.

„die zeit fließt bisschen anders hier.“ Bemerkt endlich auch Rolf, Versicherungsvertreter und Unfall-Fetischist. Welch Glückseligkeit, würde nur ein Unfall passieren! Weg von den Vorhersehbarkeiten des Alltags, von der Langweile. Krachen muss es, Wunden müssen sortiert und kategorisiert werden, eine Landkarte des Schmerzes muss entstehen.
Dass dieser leicht schmierige, undurchsichtige Zeitgenosse mit Hang zum Voyeurismus von Thomas Hamm gespielt wird, versteht sich von selbst. Keiner torkelt und intoniert so kunstvoll exzentrisch wie Hamm. Theatralik, wo Theatralik hingehört, und „Dosenfleisch“ ist prädestiniert dafür.

„ein zielloses herumirren ist das wiedermal.“ Jayne. Einst Göttin der Leinwand, oder zumindest der Flimmerkiste, heute ist sie verdellt und leicht ver-rückt, und dadurch doch so frei. Petya Alabozova gibt sich der Entrücktheit ganz hin, und doch bewahrt sie ihre Jayne davor, wie ein Traumtänzer umherzuwandern. Denn Jayne hat das verbeulte Sportcoupé nicht als gebrochener Mensch verlassen. Ihr Geist ist quasi von innen blank poliert, und genau das müssen doch auch andere erfahren. Diese Erleuchtung.
Petya Alabozova leuchtet tatsächlich, ihr Spiel ist leichtfüßig und enthemmt, Jayne wird bei ihr zu einer zauberhaften kleinen Psychopatin.

„zeugen brauchts hier nicht.“ Gewiss nicht. Man ahnt es schon, selbstverständlich ist dies keine ordentliche Raststätte und selbstverständlich sind die Damen Jayne und Beate keine ordentlichen Damen. Hier lauert der Tod. Aber das gehört wohl zu einem ordentlichen Thriller dazu. Deftig grotesk ist diese Thriller-Komödie, mit ordentlichen Wendungen und scharfen Kurven.
Die von den vier Darstellern kunstvoll entpackte Sprache, die Momente der Suspense (um hier mit ordentlicher Thriller-Sprache aufzuwarten) und all die schrägen Einfälle täuschen aber nicht darüber hinweg, dass Ferdinand Schmalz weitaus mehr geschaffen als eine Kriminalgeschichte. Flucht, Heimatlosigkeit, Sehnsucht nach Ankommen. Selten hat man Figuren unter dem Deckmantel eines Krimis so wonnevoll ins Dickicht des philosophischen Diskurses stürzen sehen, selten hat man so raffinierte Wendungen der Handlung und der Sprache erlebt.

Sebastian Martin hat einen unterhaltsamen Theater-Thriller inszeniert, mit ordentlichem Tempo, doch reichlich Raum für Tiefsinnigkeiten. Er rauscht an einem vorbei wie die Reisenden auf der Autobahn, und doch können die Sinne alles wahrnehmen. Der Schmalz-Sound sollte nämlich nicht zu gemächlich, zu ordentlich und betont von den Lippen gleiten. Diese Worte bedürfen eines bestimmten Tempos, um ihre Wirkung zu entfalten, das Ensemble hat das genau richtig gemacht.
An Martins Seite die großartige Kathrin Krumbein als Bühnen- und Kostümbildnerin, Luca Fois als Videokünstler und Robin Pinhammer mit einem ausgeklügelten Sounddesign. Eine runde Sache!

jayne
die exotik ist der tod des fremden dann. alles dieselbe soße. fährt man von a nach a nach a nach a. kein b in sicht.

rolf
echten verkehr, den gibt es nicht.

jayne
weil keiner mehr mit einem anderen wirklich verkehren will.

rolf
weil jeder nur mehr fernverkehren will.


dosenfleisch
von Ferdinand Schmalz
Theater Aachen Kammer

Thomas Hamm, Maresa Lühle, Petya Alabozova, Torsten Borm. Foto: Carl Brunn

 

 

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